Mein Freund, der Norbert

Nur meckern bringt ja nichts. Im ZDF hat man, wie eigentlich immer, die Zeichen der Zeit erkannt und bietet den Zuschauern Mitsprache an: »Uns interessiert, was Du über Medien im Allgemeinen, das ZDF im Speziellen und Themen, die unser Land aktuell bewegen, denkst. Teile Deine Gedanken, damit wir besser verstehen, was Dich beschäftigt …«

Wie im Kirchenkreis oder bei den Anonymen Alkoholikern wird jeder, der sich durchringt, dabei zu sein, geduzt und muss Mitglied der ZDF-mitreden-Community werden.

Das kostet natürlich nichts, mich allerdings einiges an Überwindung. Denn ich mag Wulf Schmiese nicht im »Hauptstadtstudio« und finde, die senden viel zu selten grusinische Volkstänze. Aber warum nicht? Ich bin ja auch Pay-Pal-Kunde und Mitglied im Tierschutzverein – auch obskure Vereine, zu denen ich mich erst überreden lassen musste und die nicht mal Busreisen zur Frauenkirche verlosen. Und das hier scheint wirklich wichtig zu sein.

Endlich können wir entscheiden, was Frau Miosga anzieht (pink steht ihr gar nicht, das muss ihr mal einer sagen), welcher »Tatort« gezeigt werden soll (und wer der Mörder ist), wer bei Markus Lanz neben dem unvermeidbaren Kevin Kühnert sitzen soll, und natürlich, welche Lottozahlen gezogen werden.

Endlich kann ich mal meine Meinung sagen, anonym und schonungslos!

Damit die nicht allzu drastisch ausfällt, gibt es eine »Netiquette«, ein lustiges Wortspiel, nicht wahr? Was für Akademiker, aber in Wahrheit eine eiskalte Verbotsliste. »Nicht erwünscht sind: Beleidigungen, rassistische, extremistische, volksverhetzende Äußerungen und Verunglimpfungen jeglicher Art, Bedrohungen, Obszönitäten.«

Damit bin ich schon mal raus. Obszönitäten gehören in unserer Redaktion zu einem gedeihlichen Arbeitsklima. Und ich frage mich, wenn das ZDF nur Meinungen von Leuten hören will, die ein Benimm-Abitur bestanden haben und volksverhetzende Äußerung nur bei rauschender Klospülung machen, wie das Erkenntnisse bringen soll.

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Zunächst will meine neue Gemeinschaft mich etwas besser kennenlernen, um »eine kulturelle Vielfalt zu berücksichtigen«. Ich bin vielfältig; ein Viertel polnisch, kaukasisch, thüringisch und vegetarisch und momentan möchte ich mit dem Artikel »die« angesprochen werden, obwohl ich an Schalttagen einen Penis trage. Mehr müssen die nicht wissen.

Es wird versprochen, dass in dem neuen ZDF-Programm auch was für mich dabei sein wird, und nun bin ich gespannt wie ein Flitzebogen, was das wohl sein kann. Woher wollen die denn wissen, was meine Passion ist? (Ich kommuniziere mit Fröschen.)

Bis es so weit ist, muss ich noch angeben, wie ich das ZDF so finde. Ich darf mich in den Kategorien »Spannend«, »Unterhaltsam«, »Informativ«, »Objektiv«, »Sympathisch« frei bewegen … ich soll ja ehrlich sein … und klicke überall »eher nicht« an.


Außerdem ärgert mich, dass die Kategorien »altbacken«, »betulich« und »Christian-Sievers-lastig« fehlen, denen hätte ich nämlich vorbehaltlos zustimmen können.

In welcher Stimmung ich gerade sei, werde ich noch gefragt. – Das könnte dem Sender so passen, schlechte Bewertungen auf depressive Verstimmungen ihrer Zuschauer zu schieben.

»Manchmal werden wir fragen, ob wir Dich zu einem Thema über die Umfrage hinaus kontaktieren dürfen … In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass Deine persönliche Geschichte Teil des Programms wird.« Das klingt wie eine Drohung. Wenn sie eine durchgeknallte Vielfachmutter suchen, die schlecht einparken kann – holen sie mich dann für die Sendung »Die Psyche, das wunderbare Rätsel«? Jetzt, wo sie mich schon duzen? Oder kommt alles nicht so schlimm und es klingelt nur das MoMa-Team an meiner Tür und will wissen, wie ich meine Spezial-Lasagne zubereite?

Endlich ist es so weit, ich darf die Seite anklicken, wo ich erfahre, was denn meine ZDF-Community-Kollegen in den Umfragen geantwortet haben. Sie haben zum Beispiel abgestimmt, wie der Titel einer Psychoserie mit Katja Riemann lauten soll. Auch, ob eine Dokuserie über Breakdance weiterläuft oder nicht. Da haben die Filmemacher sicher Muffensausen gehabt, aber die Community war tolerant und wohlwollend und hat der Minderheitendoku noch eine Chance gegeben. Die Mehrheit findet praktisch alles toll.

Ich freue mich schon auf den Wunschfilm, den ich bald wählen kann (»Befreiung – Teil 1. Die Schlacht am Kursker Bogen«). Doch davon steht hier nichts. Statt Mitbestimmung beim Programm soll ich mich plötzlich politisch äußern, sicherlich, um mich in irgendwelchen »Politbarometern« zu verwursten. »Wie lebt es sich im Osten?«, »Wie geht’s, Deutschland?«, »Wie geht’s, Europa?« und »Sind Sie Protestwähler:in?« Schon mal was von geheimer Wahl gehört, Duzfreunde beim ZDF?

Der Intendant heißt übrigens Norbert, und ich mag ihn, auch wenn mein Wunschfilm nicht ins Programm kommt. Aber ich würde gern anklicken, dass Simone Thomalla eine Zumutung ist, dass Markus Lanz zu Tode langweilt, dass der ZDF-Sommergarten nicht mehr bewässert werden sollte und dass die Programmleitung durchweg durch mutige, lustige, geniale Leute ersetzt werden sollte, also solche wie den Norbert.

Das würde ich wegen der »Netiquette« natürlich etwas netter formulieren.

Aber vielleicht bin ich doch nicht der Community-Typ, und meine Meinung schreibe ich lieber weiter hier an dieser Stelle.

FELICE VON SENKBEIL

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