Pickelkinder

Unsere schöne Zivilisation ist bedroht – vom Klimawandel, von der russischen Atombombe und nun auch noch von der verfrühten Pubertät.

Als hätten wir nicht schon genug am Hals. Nun kriegen unsere Kinder schon Pickel und schlechte Laune, bevor sie Schnürsenkel binden können. Dabei haben wir sie doch bekommen, weil wir Kinder haben wollten, keine Zombies. Hätte man mir gesagt, dass ich die Hälfte der Erziehungszeit mit stinkenden Zwitterwesen zusammenleben muss, hätte ich doch einen Hund gekauft. Der riecht meistens nur aus dem Maul.

Nun wird die angenehme Phase, in der die Kleinen nach Rosenblüten duften, Mama wie eine Göttin verehren und Papa nur zum Hintern abputzen brauchen, die Zeit voller Harmonie und Fürsorge, noch mal um ein halbes Jahr verkürzt. Mädchen bekommen schon mit neun Brüste und Jungs mit elf Bart. Wer eher anfängt, ist eher fertig, könnte man meinen … Das gilt für Gleitarbeitszeit im Bürgeramt, aber nicht für die Pubertät. Die dauert so lange, wie die Suche nach einem bezahlbaren WG-Zimmer in Berlin.

Johann Mayr

Es wird vermutet, dass Handykonsum und Fettsucht zum verfrühten Hormoneinschuss führen könnten. Allerdings machen Handys und Hamburger das Zusammenleben in dieser Phase überhaupt erst möglich.

In unserer Familie sind die Pubertären und Vorpubertären, also alle ab dem Kindergartenalter, in der Überzahl. Ich habe also Erfahrung mit dem biologischen Phänomen: Es kommt in Wellen, meist am Morgen.

Die erste Gewalt-Attacke muss die Kühlschranktür über sich ergehen lassen. Dann ist das »verfickte Handy« weg. Ein Angstmoment, der schnell in Panik übergeht, sollte das »scheiß Teil« nicht schnell gefunden werden. Dann wird der »Assi-Toast« angeschrien und mit sehr viel Erdnussbutter beschmiert. Zum Schluss bekomme ich die Wünsche fürs Abendessen zugeworfen – »Wenn es kein Fleisch gibt, drehe ich durch!« – und das Zwitterwesen verschwindet mit einem großen Berg kohlehydrathaltigen Lebensmitteln wieder in seiner Höhle. Dort verbringt es den Tag liegend mit seinem »kack Handy«, das ihm die Welt bedeutet.

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»Zwitter« meint nicht das Geschlecht, das ist sehr eindeutig und arbeitet gerade auf Hochtouren, es ist das Wesen zwischen Muskel -paket und Rotznase.

Ex-Kind Nummer 2, der Vorpubertäre, ist noch ansprechbar, geht aber mit seinen 13 Jahren langsam in die innere Emigration. Wenn er wach ist, macht er auf Gutmensch. Er findet meine Witze plötzlich »voll gemein«, stellt sich schützend vor jede Minderheit, sogar unsere Nazi-Nachbarn. Er findet, dass man andere Meinungen respektieren sollte und nicht in fremde Briefkästen spucken darf. Wenn ich an der Selbstzahlerkasse beim Edeka eine Bierdose zu wenig abscanne, ruft er das Personal. Pubertäre Arroganz. Moralische Überlegenheit will er mir zeigen, dieser Verräter. Und teure Bioschnitzel muss ich ihm kaufen, weil alles andere »ethisch untragbar ist«.

Was ich dazu sage, ist egal, es wird nicht gehört. Die hormongefluteten Gehirne können nur wenig Informationen verarbeiten, vor allem wenn diese von weiblichen Stimmen kommen. Wahrscheinlich halten Mädchen meine Söhne deshalb für gute Zuhörer. Sie schweigen, denn sie verstehen nichts.

In der zweiten Klasse tragen die Mädchen schon Push-up-BHs und spielen Lippenaufpolstern mit Spielzeugspritzen. Das Taschengeld wird in Beautycare investiert. Die »daily routine« einer Neunjährigen nur für die Gesichtspflege beinhaltet: Cleanser, gefolgt von einem Toner, danach Seren und Booster, schließlich ein Moisturizer sowie tagsüber noch ein Sonnenschutz.

Statt Eisessen oder einem Rummel-Besuch wünschen sich die kleinen Mädchen eine Botox-Party zum neunten Geburtstag und zum zehnten einen festen Boyfriend.

Für mein jüngstes Kind habe ich andere Pläne. Es wird keine Pubertät vor der Jugendweihe geben. Das hat sie mir versprochen. Auch die anderen Eltern unserer Kita sind dafür, den Kindern das Pubertieren einfach früh genug auszureden:

»Wenn du dich nicht bei Tiktok anmeldest, bekommst du ein Pony.«

»Wenn du keinen Nagellack benutzt, fahren wir ins ›Tropical Island‹.«

»Wenn du nicht so viele Transfette zu dir nimmst, habe ich dich noch viel lieber.« Das funktioniert, glauben wir fest. Und wenn alles nichts nützt, Hormonblocker bekommt man billig auf dem Polenmarkt.

FELICE VON SENKBEIL

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