Hast du auch viel drauf?

Ich freue mich immer, wenn meine Söhne ihre Kumpels mit nach Hause bringen. Zum einen bin ich neugierig, ob die schon mehr Bartwuchs als meine Jungs haben, und zum anderen bedeutet es, dass wir ihnen nicht allzu peinlich sind. Tatsächlich kommen sie nur, wenn alle Alternativwohnungen auch von alten Menschen besetzt sind und bei uns Schnitzelfreitag ist.
Als Leon vor der Tür stand, zog ein Geruch von Schweiß, Salamistulle und Waldboden durch unser Haus. Leon knallte seinen tannengrünen Rucksack, auf dem ein Patch mit seinem Namen Yilmaz-Brettschneider klebt, in die Ecke und legte sich erschöpft in unseren Wäschekorb, ehe er begann, seine Schnürstiefel aufzuknüpfen. Freundlich bat er um ein Stück Seife und ein paar Heftpflaster. Mein Sohn half dem jungen Gefreiten aus den schweren Lederstiefeln und bewunderte die geschundenen Füße.
»Biste von Gera hierher gelaufen?«

Leon sei von einem hilfsbereiten Kameraden mitgenommen worden, erklärte er, und dass man überhaupt sehr hilfsbereit bei der Truppe sei, »aber diese Schuhe sind einfach krass«. Genau wie meine Jungs ist Leon die weichen Sneakers mit den gepolsterten Sohlen gewohnt.
»Da muss man reinpinkeln«, sagte ich, als würde ich mich mit Armeestiefeln auskennen. Mein Sohn warf mir den Boah-bist-du-peinlich-Blick zu, und ich verzog mich in mein Arbeitszimmer.
Nun, dachte ich, würde der Leon seinem Freund das Herz ausschütten. Die ersten Wochen beim Bund sind die schlimmsten. Der widerliche Kasernenfraß, mit sechs furzenden Kerlen auf einer Stube, im Morgengrauen den Hampelmann auf dem Kasernenhof machen und am Abend von den Kameraden mit einem Handfeger im Anus in den Schrank gesperrt werden … Das und noch viel mehr Schreckliches würde Leon zu berichten haben und mein Sohn bekäme es mit der Angst zu tun.
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Die Schnitzel lockten die Jungs aus der Höhle und wir begannen ein nettes Tischgespräch. Stimmt es, fragte ich, dass die Soldaten ihren Chef »Pisse« nennen? Mein Sohn trat mir auf den großen Zeh und ich erklärte: »Das ist doch der Pistorius … also wegen dem Namen, ist doch witzig, oder?« Alle schwiegen. Ich entschuldigte mich, weil ich gar nicht wusste, wer denn nun gerade Bundeswehrchef ist, also wer den Befehl zum Morden gibt.
Mein Sohn kaute gewaltsam auf seinem Schnitzel herum, als würde es sich im Mund noch bewegen. Ich fragte Leon, ob er denn bereit wäre, für dieses Land zu sterben. Leon schaute mir fest in die Augen und sagte, erstmal wolle er eine Ausbildung zum Kampfflieger bei der Bundeswehr machen. Das sei eine tolle Chance, mega bezahlt und auch das Essen sei besser, als er gedacht hatte. Und dann, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gäbe, würde er natürlich unser Land verteidigen. Auch mit entsprechender Bezahlung und Urlaubstagen und er wolle nicht überall hin. Hitze kann Leon nämlich gar nicht gut ab. Außerdem: Sterben könne man ja immer, auch jetzt, er könnte sich verschlucken und bums, tot.
Mein Sohn schien mit der Reaktion seines Freundes sehr zufrieden zu sein. Sein Kiefer entspannte sich, mein Zeh wurde befreit.
Leon verschwand noch in der Nacht, humpelnd, mit dem schweren Rucksack auf seinem gekrümmten Rücken.

Mein Mann und ich lagen noch lange wach und überlegten, wie wir reagieren sollten, wenn unser Sohn nun auch zum Bund will. Er wäre eine Sahneschnitte für die Truppe; 1,90, arischer Typ, vollständiges Gebiss und vielleicht mit Abitur. Den würden sie ins Wachbataillon stecken und er könnte dem Kanzler oder dem Bundespräsidenten den Zapfen streichen.
Der Gedanke erfüllte uns mit leichtem Stolz, sogar etwas Patriotismus war vielleicht dabei.
Unsere Truppe, die Jungs und Mädels, die für unsere Sicherheit sorgen, die ihren Dienst für unser Vaterland leisten – und unser Junge wäre einer dieser Auserwählten mit einer Fackel in der ersten Reihe. »Niemals!«, schrie ich wie eine Löwin.
Ich beschloss, mit der Grundausbildung zu Hause zu beginnen, zur Abschreckung.
Um zehn vor fünf klingelte der Wecker. Ich riss die Jugendzimmertür auf, zog die Decke weg und leuchtete meinem Sohn mit einer 100-Watt-Taschenlampe ins Gesicht. »Los, Kamerad, auf zum Morgenappell!« Tatsächlich schleppte sich der Junge wie in Trance in den Flur und spielte mit. Wir machten einen Morgenlauf durch die verkaterte Stadt und … es war leider sehr schön. Zum Mittag gab es Weißkohleintopf, der auch ganz lecker schmeckte, und das konfiszierte Handy wurde kaum vermisst.

Wir hatten tolle Tage. Sonnenaufgänge überm Reichstag, klettern üben am BND-Zaun, Bohnensuppe löffeln auf dem Aldi-Parkplatz und schwimmen in der kalten Spree. Um neun war Zapfenstreich und um fünf stand ich wieder mit der Taschenlampe an seinem Bett.
Am vierten Tag ließen meine Kräfte nach. Ich bin ja schließlich nur eine Frau und nicht mehr ganz jung. Vor Erschöpfung schlief ich im Wäschekorb ein und der Sohn lief allein durch die erwachende Stadt und spielte Brennball mit den Pennern und Anschleichen auf der Hundewiese.
Ich hatte versagt und musste nun täglich mit dem Einberufungsbescheid im Briefkasten rechnen. Die Bundeswehr war für meinen Sohn ein ganz normaler Arbeitgeber mit coolen Aufklebern, Kugelschreibern und Sprüchestoffbeuteln: »HAST DU AUCH VIEL DRAUF?«, »SCHON IN UNI-FORM?«, »UNTERWEGS, UM DEINE STÄRKEN ZU FINDEN«. Dazu noch Kost und Logis, was will ein Neunzehnjähriger mehr. Ich begann schon, warme Unterwäsche zu kaufen und Wollsocken zu stricken. Der russische Winter hatte es ja bekanntlich in sich. Da hörte ich es kichern aus dem Jugendzimmer. Mein Sohn hatte ein Mädchen mitgebracht, die Jella. Die findet Bundeswehr voll Scheiße und will lieber nach dem Abi durch Australien reisen. Und natürlich will mein Sohn da mit.
Die Unterwäsche und die Wollsocken habe ich Leon nach Gera geschickt, da wird es auch sehr kalt.
FELICE VON SENKBEIL

Auslese
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