Bin ich nicht wunderschön?
Alles wie immer. Die Spätabholkinder hockten unterm Hollerbusch im Garten und sangen einen Bushido-Song. Die letzte Betreuerin dampfte schon ihre Vape Fuji, und gestresste Eltern sprangen von den Lastenrädern, um den Nachwuchs noch vor dem nächsten Call einzusacken. Ich als Kreative hole mein Kind aus Solidarität mit der arbeitenden Gesellschaft vorsätzlich spät ab, damit sich die Arbeiterkinder nicht diskriminiert fühlen.
An diesem Nachmittag bekam ich einen Schreck, als mir meine kleine Tochter in die Arme sprang. »Schau mal, Mama, ich bin eine Spinne!« Tatsächlich war die samtweiche, wie Meissener Porzellan schimmernde Haut meines Kindes mit einem schwarzen Muster bemalt. Auf der Nase meiner Süßen saß eine dicke Spinne mit grünen Augen. Wie gewöhnlich bestätigte ich ihr, dass sie wunder-, wunderschön ist. Das junge Selbstwertgefühl muss genährt werden, Kritik und Ablehnung wird sie schon noch früh genug erfahren. Tatsächlich dachte ich, dass besonders schwarze Insektenmotive fürs Kinderschminken nicht geeignet sind. Allerdings: Das Elsa-Make-up vom letzten Kitafest war so nuttig, dass die Fotos von Google zensiert wurden.

Ich schätze unsere Kita sehr wegen des kreativen Angebots. Neben den Klassikern Malen, Kneten und Kartoffeldruck bieten die engagierten pädagogischen Fachkräfte auch Exkursionen in andere Kulturen an. Es wird geklöppelt wie bei den Sorben, aus Coladosen werden Mobiles gebastelt wie in Indien, bunte Zöpfe werden ins Haar geflochten wie in Afrika, die Hände mit Henna verziert wie im Orient und die Ohrläppchen geweitet wie in Äthiopien. Heute war offenbar das Thema »Gesichtsbemalung« dran gewesen.
Eigentlich lehne ich jegliche Körperbemalung ab. Meine Tochter darf sich an sämtlichen Wänden unserer Wohnung austoben, und sogar als sie mit Kieselsteinen die Fahrertür meines Teslas verzierte, habe ich sie für die gelungene Landschaftsmalerei (es war eine sehr dichte, blumenreiche Wiese) und die mutige Kratztechnik gelobt. Aber bei der eigenen Haut ist für mich Schluss mit der Kreativität.
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Außer meinen Besenreisern, die auch einige Geschichten erzählen könnten, gibt es bei mir keine Zeichnungen. Nur beim Arschgeweih wäre ich in den Nullerjahren fast schwach geworden. Aber das Geld hätte nur für eine Arschbacke gereicht und ich konnte mich nicht entscheiden, für welche. Also kann ich nun mit Stolz sagen, ich bin tintenfrei. Damals hätte mich diese Tattoo-Jungfräulichkeit und natürlich eine drogenfreie Urinprobe für eine Ausbildung bei der Polizei oder Bundeswehr befähigt. Es gab nämlich Zeiten, da bekamen Tätowierte nur Jobs in der Fleischverarbeitung oder als Totengräber. Staatsbeamte mit tätowierten Kehlköpfen oder Handrücken wären undenkbar gewesen. Das musste nicht mal ein Keltenkreuz, Thorhammer oder Reichsadler sein. Tätowierte wurden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und von den Frauen gemieden.
In der Badewanne begann ich, am Gesicht meiner kleinen Spinne zu wischen. Sie heulte, weil sie für immer mit dem Spinnennetz rumlaufen wollte. Doch außer dem Buddelkastensand löste sich nichts. Diese Kinderschminke wird über Nacht am Kopfkissen kleben bleiben, dachte ich und ließ sie als Spidergirl ins Bett gehen. Am Morgen war das schwarze Muster noch tiefer in die Poren eingedrungen und mir wurde klar: Das war keine Kinderschminke, sondern der Permanentmarker fürs Kita-Elternbuch.

Die großen Brüder freuten sich über ihre gesichtstätowierte Schwester. »Voll gangstermäßig! Wie MontanaBlack« (Ein Influencer und Ex-Junkie). Besonders das Spinnennetz sei sehr beliebt, sagten sie, bei Hinrichtungskandidaten in US-Todeszellen. Es sei ein Zeichen von Resilienz, dozierte der Große. Also wenn einer im Knast die Gruppenkloppe und das schlechte Essen überlebt hat, dann lässt er sich ein Netz in die Gesichtshaut stechen. Der Kleine war froh, dass diese nervige Prinzessinnen-Phase damit hoffentlich vorbei sei. Wenn das dranbleibt, könne das Schwesterchen Rapperin werden oder in einer Bikerkneipe bedienen, feixten die Brüder, wenigstens fällt sie auf!
Das leuchtete mir ein. Natürlich will ein junger Mensch gesehen werden, was Besonderes sein, sich von den Langweilern abheben. Wir haben uns damals die Haare bunt gefärbt und Autoreifen als Miniröcke getragen. Aber die Visage verstümmeln? Niemals!
Anscheinend sind die schmerzhaften Laserentfernungen, die Häme und der Spott über Arschgeweihe, Tweety- und Tribal-Tattoos, die meine Generation später erdulden musste, in Vergessenheit geraten. Dabei konnte man diese Tattoosünden noch unter Klamotten verstecken.
Wer mit dem Namenszug seines längst untergetauchten Lovers, einem Babygesicht (die als Tattoos aussehen wie Hämatome), einem Schmetterling oder einer Zahl im Gesicht durchs Leben gehen muss, der hat es doch nicht leicht. Von Weitem werden die Verzierungen für ansteckende Hautkrankheiten gehalten.

Und im Bus beginnen Fremde, laut vorzulesen, was auf Wangenknochen, Oberlippe oder Stirn geschrieben steht, und Fragen zu stellen. Wer ist denn dieser Kevin, warum steht da »Love« und »Fuck« und tut das nicht weh, so dicht am Auge …?
Meine Söhne blieben dabei: Gesichtstattoos seien eine Form des künstlerischen Ausdrucks und irgendwie schön. Meine entstellte Tochter grinste mich an – wenn sie grinst, scheint die Spinne niedlich zu hüpfen –, und ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten: Mein Mädchen – eine Gesichtstätowierte! Ach, hätte sie es doch bei den Popeln belassen, mit denen sie sich vorgestern die Stirn verzierte …
Im Kindergarten suchte ich nach der Tätowiererin, um ihr mit einer Anzeige wegen Körperverletzung zu drohen. Die junge Frau, selbst bis zu den Ohren bemalt und an allen sichtbaren Körperöffnungen beringt, reagierte provokativ gelassen. Sie habe dem Kind den Permanentmarker aus der Hand genommen, als es sich selbst bemalen wollte. Ich sollte eigentlich dankbar sein, dass die Bemalung professionell ausgeführt wurde, nämlich von ihr, der »Tattoo-Queen«, die nebenberuflich in der Kita jobbt. Sie empfahl mir, mich mit den Gesichtstattoos der Chin-Frauen in Myanmar zu beschäftigen, da könne ich noch was lernen.
Tatsächlich, in Myanmar gibt es Frauen, die sich Spinnennetze in die Geschichtshaut hämmern ließen. Ihre Beweggründe sind unklar. Wahrscheinlich schmeichelt ihnen das Interesse der Fotografen (weiße, alte Männer) und Ethnologen (weiße, alte Männer mit Doktortitel), die bestimmt auch Münzen fallen lassen.
Also gut, meine Tochter wird nun die Tradition der stolzen, hart arbeitenden Chin-Frauen weitertragen und hoffentlich so zum Familieneinkommen beitragen.
Falls sie doch lieber eine Prinzessin sein möchte, habe ich Gallseife und Abschminkpads gekauft.
FELICE VON SENKBEIL
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