Prima, ein Sadist!
Einige Essentials sollten Kinder verinnerlicht haben, bevor sie dem Arbeitsmarkt zugeführt werden: selbstständig aufs Klo gehen, einen WhatsApp-Call annehmen, stehengelassene Pfandflaschen einstecken und schwimmen sollten sie können. Natürlich gibt es noch die Grundrechenarten, Essen mit Besteck und das kleine Lexikon der Körperhygiene. Aber schwimmen können ist im Ernstfall ein Überlebensvorteil, saubere Fingernägel sind es nicht.
Diesen Sommer haben wir ohne Schwimmbadbesuche hinter uns gebracht. Die Einlasskontrollen mit dem Griff in die Unterwäsche (Messer?) und der Speichelprobe wurden mir mit der Zeit doch lästig. Außerdem fühlte ich mich von den Schutz- und Trutzkräften beobachtet, denn mein schwimmpädagogischer Trick ist es, dem Kind die Luft aus dem Schwimmring zu lassen, damit es spürt, dass das Wasser es trägt. Dabei musste ich stets das Eingreifen des übereifrigen Bademeisters fürchten.
Viele Kinder aus der Kita meiner Tochter waren noch nie in einem Wasserbecken, von der häuslichen Badewanne einmal abgesehen. Schwimmbäder sind teuer, kalt und so gemütlich wie eine Bahnhofsvorhalle. Grundschüler bekommen in einer idealen Welt als Drittklässler Schwimmunterricht. Aber wir leben nicht mehr in einer idealen Welt, seit die Merkel ihren Abschied nahm. Nur jeder fünfte der Zehnjährigen kann sich eine halbe Minute lang über Wasser halten, der Rest ersäuft bzw. endet als »Wasserläufer« in der Plansche. Bei diesen Kindern ist es schon ein Erfolg, wenn sie sich nass machen.
Schwimmer werden bald so exotisch sein wie Menschen, die mit den Füssen pfeifen oder rückwärts sprechen können. Untersuchungen haben ergeben, dass 80 Prozent der Viertklässler einen Account auf TikTok einrichten können. Aber schwimmen können sie nicht.
Seit diesem Jahr touren Schwimmcontainer durch die Republik, um eine Generation von Nichtschwimmern zu verhindern. (Eine politische Entscheidung, hinter der Minister Pistorius steht. Weil diese Kinder eines Tages den Don überqueren müssen?) Die mobilen Pools fahren auf Marktplätze und Schulhöfe und erinnern die Kinder daran, dass ihre Stadt mal ein Schwimmbad hatte. Genau dort, wo jetzt der Netto-Markt oder die Tanke stehen.
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Ich bin als Fünfjährige schon nach einer Trabi-Felge getaucht (war Mangelware!) und habe die Fünfzigmeterbahn im Sportunterricht mit meinen kurzen Ärmchen durchpflügt! Das Schwimmabzeichen, das wir errangen, war die erste Warnung an den Klassenfeind, dass er uns Jungpionieren tunlichst nicht im offenen Gewässer begegnen soll. Wir wurden mit einem Strick um den Nabel vom Beckenrand geworfen, und irgendwann konnten wir schwimmen. Es war natürlich ein unmenschliches Regime, das darf man nicht vergessen. Da haben es die Kinder heute besser: Sie gehen unter wie Mehlsäcke und sind genauso schwer.
Für meine Tochter habe ich ein Ziel ausgerufen: »Nächsten Sommer kannst du schwimmen!« Nun muss ich mich auf die Suche begeben, um einen Schwimmkurs in der Nähe zu finden. Die Schwimmhalle um die Ecke ist jetzt ein Working Place mit Barista Corner und Hundefriseur. Aber dett isss doch Bälin, da wird sich was finden! Leider komme ich wieder zu spät. Ich hätte das Kind vor seiner Geburt, nein, am besten am Tag seiner Zeugung, auf eine Warteliste setzen lassen können, dann wären wir jetzt an der Reihe.
Aber es gibt Hoffnung, eine Schwimmhalle vergibt spontan einige Restplätze für Bedürftige. Man muss sich nur ab sechs Uhr anstellen und nachweisen, dass man nicht auch noch bei der Berliner Tafel registriert ist. Die zweihundert Euro Gebühr hätte der Bademeister, ein ehemaliger Kampftaucher der NVA, gern in bar: »So isset einfacher.« Es ist fünf Uhr in der Früh, und die Schlange reicht bis zur U-Bahnstation. Meine Kleine habe ich natürlich in der Badewanne …
Quatsch … im Bettchen gelassen. Eltern teilen Stullen, Kaffee und Erlebnisse. Manche kennen sich von der Warteschlange für den Tanzunterricht, das Fußballferiencamp oder den Japanischkurs. Ich will wissen, was an diesem Seepferdchen-Kurs so besonders ist. Oh, da gibt es einiges: Das Wasser ist eiskalt, der Schwimmlehrer ein Sadist und kein Kind will freiwillig zu dem. Aber der ist echt prima! Wenn die Folter vorbei ist, sind alle Schwimmer.
»Warum bringen wir unseren Kindern nicht selbst das Schwimmen bei?«, frage ich keck in das dräuende Morgenrot. Aber man scheint die Frage überhört zu haben. Zwei Männer lachen, als hätte ich einen Witz gemacht. »Schwimmlehrer ist ein Beruf, wie Kardiologe oder Eisenbahner, da muss man Diplome vorweisen«, belehrt mich einer. Und eine Frau sagt: »Mein Erste-Hilfe-Kurs ist abgelaufen, ich könnte nicht einmal beatmen.« Und einer der Männer ergänzt: »Flutkatastrophen werden immer häufiger, Ahrtal, Florida. Ohne ordentliche Schwimmtechnik biste da aufgeschmissen. Willste das?« Drohend wendet er sich mir zu. Ende der Diskussion.
Aber mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich bringe meinem Kind allein das Schwimmen bei. Im Internet gibt es tolle Kurse: »Wie lerne ich schwimmen in vier Schritten«. Wieso Schritte? »Schwimmen soll sie lernen«, denke ich und mache mir meinen eigenen Plan. Wir beginnen zu Hause auf dem Wollteppich, so hat sie bei mir auch den doppelten Salto gelernt (da mache ich die Balkontür auf, sonst ist das Zimmer zu klein).
Zwei Kissen unter dem Bauch – »Na, siehst du, es trägt dich«, sage ich. »Warte, ich mache den Wasserhahn in der Küche an, damit es plätschert.«
Als ich zurück ins Zimmer komme, ist sie verschwunden. Aber unter dem Teppich regt sich etwas: »Mama, ich tauche!« Also, Mut hat sie.
FELICE VON SENKBEIL
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