Die Brantmauer
Ein milder Herbstnachmittag in der historischen Altparteienstadt von Heidelberg. Es ist viel zu warm für die Jahreszeit. Franziska Brantner, die neue grüne Lichtgestalt, sitzt in einem Straßencafé, genießt die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht und wird sofort politisch: »Es ist nicht alles schlecht an der Klimaerwärmung.« Noch bis vor wenigen Wochen wären solche hochproblematischen Aussagen aus dem Mund einer Grünen undenkbar gewesen und hätten mindestens ein Parteiausschlussverfahren oder eine amtliche Farbbeutelattacke zur Folge gehabt. Doch die Partei hat verstanden.
Seit den Wahlschlappen in Serie, bei denen ihr Stimmenanteil schneller zusammenschmolz als die Polkappen in einem Jahrhundertsommer, weht bei den Grünen ein anderer Wind. Die Windrichtung gibt der Vizekanzler vor: »Weg vom Klassenstreber-Image zur Partei, die auch Spaß vermittelt!«, verkündete Mister Wärmepumpe fröhlich in einem Interview. Weniger GAU, mehr Gaudi! Fun statt Fundis!
Auch Franziska Brantner gibt neuerdings Interviews und stellte auf Spiegel Online erfrischend zickig klar: »Ich bin nicht das Sprachrohr von Robert Habeck.« Aber sie nimmt ihren Vorgesetzten, dem sie seit drei Jahren im Bundeswirtschaftsministerium dient, beim Wort, wenn es darum geht, die grünen Miesmacher in Gute-Laune-Bären zu verwandeln.
Im Unterschied zu den Grünen von gestern erscheint die Brantner von heute nicht mit dem Klapprad am Treffpunkt, nachdem sie ihre Limousine um die Ecke geparkt hat. Eine moderne Grüne wie sie legt keinen Wert auf Symbolpolitik und stellt selbstbewusst ihren Benziner auf einem Behindertenparkplatz ab. »Ich darf das, ich war jahrelang mit Boris Palmer liiert«, lacht sie so herzhaft politisch inkorrekt, dass es ansteckend wirkt. Den Motor hat sie laufen lassen. »Ein, zwei Stunden sei das schon mal okay«, beschwichtigt sie im Stile einer lupenreinen Reala, während eine schwarze Abgaswolke sie und die anderen Cafébesucher einnebelt. »Was einen nicht umbringt, macht einen stärker.«
Satire & Humor per E-Mail
Der EULENSPIEGEL-Newsletter erscheint Dienstag und Donnerstag mit auserwählten Beiträgen.
Ein Kleinbus hält direkt vor dem Caféeingang. Er sieht aus wie ein grünlackiertes Guidomobil. »Das ist unser Robby-Car«, erzählt Brantner, »damit werden wir im Wahlkampf mit Robert durchs Land dieseln und das Feld von hinten aufrollen.« Aus dem Fahrzeug steigt ein flotter Mittdreißiger mit Gellocken und Sechstagekriegsbart. Es ist Felix Banaszak, Brantners designierter Sidekick. Obwohl er offiziell dem von Natur aus humorfeindlichen linken Flügel angehört, gilt er spätestens seit seinem Vierzeiler gegen die AfD (»Wer belastet so spät den Bundestag, es ist die Partei, die keiner mag …«) als hellster Stern am lichtarmen grünen Comedy-Himmel. Mit diesem parlamentarischen Schenkelklopfer hatte sich der Grünen-Goethe für Höheres empfohlen. Schon damals wies Habeck seine Headhunters an: »Felix oder nix!«
Nun soll Banaszak an der Seite von Brantner als gut gelauntes Doppel-B die Ökopartei aus dem Umfrageloch und Stimmungstief holen – und dabei Schüttelreime raushauen, dass es kracht. Nachdem er einen Espresso aus unfair gehandelten Bohnen bestellt hat, kommt er direkt auf den Punkt: »Was wäre das ein übler Scherz, ein Kanzler namens Fritze Merz! Und höre ich die Wagenknecht, wird mir schon aus der Ferne schlecht!« »Tätä! Tätä!«, pflichtet ihm Brantner bei. Noch nicht einmal im Amt, überzeugen die beiden bereits als perfekt eingespieltes Komikerduo, das den Vergleich mit den Meistern seines Fachs nicht zu scheuen braucht – wie Stan und Oli, Erkan und Stefan oder Baerbock und Habeck.
»Wenn wir eine neue Spaßpartei für Deutschland etablieren, geht es uns nicht nur um den eigenen Parteierfolg«, erklärt Brantner, »durch den baldigen Wegfall der FDP entsteht in der politischen Landschaft ein gefährlicher Gaga-Gap, den wir zu füllen bereit sind.« Dazu gehört auch, die linken Spaßbremsen innerhalb der Grünen unschädlich zu machen. »Mit ihrem geschlossenen Rücktritt ist uns der Vorstand der Grünen Jugend zwar entgegengekommen«, sagt Brantner, »doch in der Partei wimmelt es weiterhin von RAF-Enkeln und Fridays-for-Future-Faschos, dass es einen nicht wundern darf, wenn immer mehr junge Realos zur AfD überlaufen.«
Deutschland müsse endlich aufhören, »ein Land der Klugscheißer und Besserwisser zu sein, das immer weiß, dass immer die anderen Schuld haben«, zitiert Brantner ihren Vorgesetzten. Deswegen findet sie das, was Ricarda Lang und Omid Nouripour getan haben, auch so »stilbildend«, wie sie dem Spiegel anvertraute, weil sie die ganze Schuld auf sich luden. »Ich meine, die beiden hätten es sich auch einfach machen und auf Robert und mich zeigen können, nur, weil wir das Heizungsgesetz verbockt haben, aber das wäre ja total unfair und linksgrün versifft gewesen.«
Vom Spiegel auf die Gründe für die Pleiten bei den jüngsten Landtagswahlen angesprochen, antwortete Brantner, man habe zu selten auf »die leise Mehrheit der Verantwortungsvollen und Vernünftigen« in der Gesellschaft gehört. »Immer nur die Stimme der lauten Minderheit der Unverantwortlichen und Irren zu sein, konnte auf Dauer nicht gutgehen«, klugscheißert Brantner, ohne besserwisserisch zu wirken. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Das neue Parteiprogramm, das auf dem bevorstehenden Spaßparteitag bei den verbliebenen Parteifreunden einen kollektiven Lachflash auslösen soll, enthält ein Best-of mehrheitsfähiger realpolitischer Positionen. So will man die zu Unrecht verschmähte Kernkraft retten, Abtreibungen verbieten, den Wolf in unsichere Länder abschieben und das Jagdrecht auf Asylsuchende ausweiten. »Außerdem wollen wir den Klimawandel einem Faktencheck auf Telegram unterziehen und das Lieferkettengesetz torpedieren, um Kinderarbeit auch im Inland zu fördern und den Fachkräftemangel zu bekämpfen«, ergänzt Brantner und bekommt volle Rückendeckung von Banaszak: »Hätte, hätte, Lieferkette!«
Die Ausgangslage der Grünen im bevorstehenden Bundeswahlkampf vergleicht Brantner mit einem 0:4 im Fußball. Den Vergleich hat sie von ihrem Boss übernommen. Damit kein falscher Eindruck entsteht, sieht sie sich erneut zu einer Klarstellung genötigt: »Noch mal: Ich bin nicht das Sprachrohr von Robert Habeck«, sagt Brantner, »aber bald schon seine Kanzleramtschefin.« Selten gab es bei den Grünen so viel Realitätssinn.
FLORIAN KECH
AnzeigeAuslese
- Vierzehn Minuten: Deutschland hielt den Atem anFelice von Senkbeil FERNSEHEN
- Prima, ein Sadist!Felice von Senkbeil Einige Essentials sollten Kinder verinnerlicht haben, bevor sie dem Arbeitsmarkt zugeführt werden:
- Die BrantmauerFlorian Kech
- Der HolzfällerunterarmEin offener Brief von Matti Friedrich an die »Friedrichs«
- Nur nicht in die Rosen kotzen!Felice von Senkbeil
- Singe, Bajazzo, singe!Matti Friedrich Angst, sagen Psychologen, die Massenpaniken auf Volksfesten erforschen, ist kein schlechter Ratgeber.