Sprüche fürs Leben

Mütter prägen oft Sätze, die einen das ganze Leben lang begleiten. Wenn ich früher mit meinen Brüdern am Wochenende im Wohnzimmer saß und im Fernsehen den Spätfilm anschaute, öffnete sich die Wohnzimmertür einen Spaltbreit, Mutters Gesicht erschien und sie sagte: »Gell, ihr macht doch auch nicht mehr so lang.« Wir sahen den Western zwar trotzdem zu Ende, aber wenigstens mit schlechtem Gewissen.

Bei Familienfeiern hockte meist am späten Abend nur noch der harte Kern zusammen und bemühte sich, die übriggebliebenen alkoholischen Getränke vor dem Verderb zu retten. Die ausgelassene Stimmung erhielt meist einen Dämpfer, wenn meine Mutter im Türspalt erschien und ihren Spruch losließ: »Gell, ihr macht doch auch nicht mehr so lang.«

Egal ob wir Brüder uns beim Skat- oder Doppelkopfabend vergnügten oder ob ich mich später mit meiner Freundin auf dem Sofa amüsierte, stets kam Mutter und beendete ihren Tagesablauf mit diesem Spruch.

Meine Mutter ist jetzt schon sehr lange tot, aber ihr Spruch kommt mir noch oft in den Sinn. Heute Nacht habe ich sogar von ihrer Beerdigung geträumt. Das lag vielleicht daran, dass ich am Vorabend mit meiner Frau über die Endlichkeit des Seins gesprochen hatte. In meinem Traum war Mutters Sarg gerade heruntergelassen worden, da öffnete sich der Sargdeckel einen Spaltbreit, Mutter lugte hervor und sagte zu uns Trauernden: »Gell, ihr macht doch auch nicht mehr so lang.«

EH

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