Eine Stirn wie eine Badfliese

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»Tut weh, ja? Uuuuh! Dann gut, dann Knackarsch!«

Meine Pilates-Trainerin ist eine Sadistin. Sie ist Japanerin und alterslos von der Fontanelle bis zum Schließmuskel. Mein Alter ist mir in die Stirn gemeißelt, seit ich denken musste (Grundrechenarten!). Aber besonders alt sehe ich aus nach einer Stunde mit dieser Frau.

Kürzlich empfahl sie mir mit gefühlskalter Miene, nicht nur »in Ash«, sondern auch in mein Antlitz zu investieren: »Nik so bose gucken, lächeln, imma lächeln, dann alles viel leichter!«

Sie hat leider recht, Frohsinn ist was für den »ZDF-Fernsehgarten«, nicht für mich. Und in Berlin wird freundliches Lächeln ohnehin als Einladung zum Crackrauchen verstanden. Nur schwäbische Touristen, Scientologen oder Irre sind hier mit entspannter Gesichtsmuskulatur unterwegs.

Ich gewöhnte mir an, blitzschnell, sozusagen überfallartig, einen Handspiegel zu zücken und mein Gesicht beim Glotzen zu überraschen, ja, zu entlarven!

Guido Sieber

Wie kann man nur, während man Essensreste aus dem Abflusssieb kratzt oder Pissflecken von der Klobrille schrubbt, so abstoßend aussehen!? Vor Schreck musste ich lachen und das Spieglein lachte brav zurück – und das war schon mal ein Fortschritt.

Die Anlässe, zu denen ich meine Kontrollen durchführte, wurden immer bizarrer, meine Taktik immer heimtückischer: Kontobewegungen checken (eine Fresse wie unter der Guillotine!), die Kinder anschreien (wie im schwarzen Block zum ersten Mai!), dem Gatten die Fußnägel schneiden (unterdrückter Würgekrampf).

Die schlimmste Erfahrung aber war, wenn ich völlig entspannt auf dem Sofa saß, Markus Lanz schaute und den Spiegel zückte: Meine Stirnpartie erinnerte an eine gebleachte Trockenpflaume. Hässlich zu sein, wie jene Dame im Märchenwald kurz vor ihrer Verbrennung, war offenbar mein Normalzustand! Zum ersten Mal war ich dankbar, seit Jahren ins Home-Office verbannt zu sein – was ist meinen lieben Kolleginnen und Kollegen mit mir erspart geblieben!

Frust und Wut sind völlig berechtigte Gefühle, erklärten mir meine Freundinnen im Frauenkreis. Jahrhunderte Patriarchat und jetzt dieser neoliberale Scheiß, Frauenwahlrecht und Gewinnbeteiligung in der Ehe – das hat sich in unseren Gesichtern tief eingefurcht. Wer als Frau mit über 40 immer noch glaubt, wir hätten heute die gleichen Chancen wie Männer, ist naiv oder ein Kerl. Und diese Verbitterung der leidenden Kreatur steht uns eben ins Ziffernblatt der vergehenden Lebenszeit geschrieben.

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Ich beschloss, für den Anfang wenigstens meine Zornesfalte zu bekämpfen. Schließlich verriet sie meine dunklen Gedanken, die Gemeinheiten, die ich mir ausmalte, wenn sich Typen vordrängelten, mich vom Fahrrad hupten, mir den Job wegschnappten. Auch in der Familie würde ein netteres Gesicht sicher gut ankommen, falls es jemand bemerkt.

Ich buchte einen Beratungstermin in einer Praxis für minimalinvasive Eingriffe. Was »minimal« bedeutet, sah ich in den Gesichtern der Praxishelferinnen. Die Mädchen waren keine fünfundzwanzig, hatten Lippen wie entzündete Lindwürmer, Haut wie aufgeblasene Pekingenten, bevor sie gegrillt werden, und Glitzersteinchen an den Vorderzähnen. Mütterliches Mitleid stieg in mir auf. Wie konnten eure Mamas das zulassen? Junge Frauen, die sich einem absurden Schönheitsdiktat unterwerfen, sich verstümmeln lassen und ihre aufblühende Persönlichkeit gegen Puppenmasken eintauschen. Das ist schlimmer als Dauerwellen, High-Heels oder Brazilian-Waxing.

Hier bin ich falsch, dachte ich, aber da war es schon zu spät. Vorher-Nachher-Fotos wollten die Puppen-Mädchen von mir machen. Na gut, dachte ich, da wird die Frau Doktor, wenn sie überhaupt eine Medizinerin ist, gleich sehen, dass ich noch ganz knackig bin und mit mir nicht viel Geld zu verdienen ist.

Frau Doktor nahm breitbeinig auf einem Hocker vor mir Platz und schaute mich an. Jedenfalls waren ihre Pupillen auf mich gerichtet. Sie hieß mich, ein böses und danach ein freundliches Gesicht zu machen (das böse fiel mir leicht), aber in ihrem Antlitz geschah nichts. Vielleicht ein beidseitiger Schlaganfall, vermutete ich. Vielleicht dachte sie: Oh, eine Stirn wie ein gepflügter Acker, das wird teuer für die arme alte Frau. Oder: Gleich ist Mittag, vielleicht heute ’ne Dönerbox?

Frau Doktor hätte 70 oder 30 sein können. Ihr Mund bewegte sich so minimal, dass ich nicht sicher war, ob sie Kaugummi kaute oder sprach. Es ginge nur um die Zornesfalte, sagte ich, und dass ich sowieso nie so eine spiegelglatte Stirn hatte wie sie, nicht mal als Säugling. Geschmeichelt lächelte die Frau Doktor – so konnte man ihre Mimik jedenfalls deuten.

Seit fünfundzwanzig Jahren lässt sie sich von ihrer eigenen Mama, die hoffentlich ebenfalls eine Medizinerin ist, Full-Face-Botox spritzen. Diese Pionierin der toxischen Faltenbehandlung gewann das erste Botox vielleicht im Heimlabor, aus altem Wurstsalat zum Beispiel.

Botulinumtoxin ist das stärkste bekannte Gift, es wird von dem Bakterium Clostridium botulinum gebildet, in Gammelfleisch, aus altem Wurstsalat zum Beispiel. Es macht ein Gesicht blank wie eine Badfliese und verleiht einen expressiven Gesichtsausdruck, wie man ihn von Präsidentengattinnen kennt.

Meine Bedenken, mir tödliches Nervengift zwischen die Augen spritzen zu lassen, hielt Frau Doktor für reine Panikmache. Wir vertagten den Eingriff. Im Netz suchte ich nach Vorbildfrauen. Tatsächlich – kaum eine der klugen Frauen trug noch Zornesfalte. Marietta Slomka, Anne Will, Iris Berben, Julia Klöckner, Ursula von der Leyen, Ivana Trump und etliche andere kriegen den bösen Hexenblick, mit dem ich den Tag verbringe, nicht mehr hin (nur die Strack-Zimmermann, die kann ihn noch).

Botulinumtoxin hat einen wunderbaren Nebeneffekt; in die Stirnregion gespritzt, wird die Aktivität im Mandelkern (ein Bereich im Gehirn, der für Emotionen zuständig ist) reduziert. Das Gesicht sieht nicht nur weniger wütend aus, man wütet auch weniger. Botox ist der Stoff gegen aufmüpfige Weiber, die mit der Menopause zu giftigen Furien werden können! Mit Botox hätte Alice Schwarzer verhindert werden können (aber jetzt ist es zu spät).

Das ist die Lösung, dachte ich. Wenn ich die Welt schon nicht ändern kann, dann will ich wenigstens netter aussehen – mit Freude das Klo schrubben, mir mit einem Lächeln den Job wegnehmen lassen, einfach nur Frau sein, ohne Groll.

Ich ließ mir das Zeug unter die Haut jagen. Die ersten Tage passierte nichts. Ich schrie meinen Handspiegel und die Kinder an und jammerte über die viele Dreckwäsche, so wie immer. Aber dann, am dritten Tag – frage nicht nach Sonnenschein …

Meine Full-Face-Botox-Behandlung plane ich für Weihnachten. Dieser Pflichttermin ist ja emotional und mimisch immer eine Herausforderung.

FELICE VON SENKBEIL

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