Fremde Freunde

FERNSEHEN

Endlich mal was Langweiliges im ZDF! Und preiswert! Zwei ältere Herren, die für kleines Geld bei Filterkaffee in öden Locations hocken und reden. »Lesch sieht Schwartz« ist ein völlig glamourfreies Talkformat über Gott und die Welt mit Harald Lesch, dem evangelischen Astrophysiker und Naturphilosophen, und dem katholischen Pfarrer Thomas Schwartz.

Die beiden treffen sich alle paar Monate auf einen Plausch. Ihre gemeinsame Mission: den Zuschauern mehr oder weniger unaufgefordert »beim Nachdenken« zu helfen.

Eigentlich sollten die beiden unterschiedlich drauf sein – Geistlicher trifft gottlosen Besserwisser. Das hätte vielleicht gescheppert im Vorabendprogramm! »Wenn es Gott gibt, dann zeig ihn mir mal, und sag mir, wie er seinen Müll trennt und ob er La Paloma pfeifen kann«, hätte Lesch verlangen können. Aber zu einer derartigen Zuspitzung kam es bisher noch nicht.

EINBILDER

Gott sei Dank! In Glaubensfragen einen Atheisten oder womöglich einen Kommunisten auf einen Theologen loszulassen, das hätte womöglich die tiefe Spaltung in der Gesellschaft, die die Soziologen allenthalben beklagen, nur noch vertieft. Statt unangenehme Diskussionen anzuzetteln, beenden die beiden einvernehmlich gegenseitig ihre Sätze.

Etwa so, Schwartz: »Einem jeden recht getan«, Lesch: »ist eine Kunst«, Schwartz: »die niemand kann.« Wie echte Buddys eben, die wahrscheinlich schon zusammen durch Kneipen gezogen sind oder sich besoffen einen E-Scooter geteilt haben.

Bei so viel Nächstenliebe will auch der Zuschauer kein Wasser in den Messwein gießen und ist sogar tolerant bei Übergri gkeiten, z.B. wenn einer ständig aus der Bibel vorliest.

Die Sendung beginnt immer mit einem lustigen Comic-Vorspann. Fast wie Hase und Elefant auf Kika fliegen die Lesch- und Schwartzmännlein durchs Bild, und man könnte glauben, die Erzählonkels machen vielleicht ein bisschen Spaß.

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Fragen wie »Versuchung: Fluch oder Segen?« oder »Was darf der Mensch?« könnten ja auch mit Humor besprochen werden. Puff, ja oder nein? Darf man sich in der U-Bahn die Fußnägel schneiden? Ist »Du kotzt mich an!« eine Grußformel? Es gibt so viele schmerzlich offene Fragen!

Die Frage »Kann Gesellschaft ohne Kirche?« ist allerdings erst einmal nur schreckliches Deutsch. Man würde schon gern hören, was die Gesellschaft ohne Kirche könnte oder was nicht.

In einer der letzten Folgen ging es um gar keine Frage. Die Folge hieß: »Das Fremde und wir«.

Am Flughafen München treffen sich die Nachdenker und sind bass erstaunt: »Hier ist das Fremde zu Hause! Keiner kennt keinen, alles voller Fremder!« Tatsächlich, Menschen eilen an den beiden Denkern vorbei und niemand erkennt sie. Sich fremd zu fühlen ist nicht angenehm, stellt Schwartz fest und lockert nervös sein Kollar.

»Nicht angenehm?« – das ist Lesch zu saftlos, zu pfäsch. »Das Fremde macht Angst!«, legt er nach. Der Pfarrer ergänzt, dass wir ja alle mal fremd waren und meint irgendwas mit Ägypten. Lesch schiebt hinterher: »Ha, ist ja lange her … da werden auf einmal Leute als fremd bezeichnet, die längst dazugehören.« Die bibelfesten unter den Zuschauern wissen sicher, was er meint – die restlichen ahnen es.

Der Pfarrer fragt keck, als wolle er den Professor aufs Glatteis locken: »Sag mal, was macht uns denn zu Fremden?« Jetzt kommt endlich der Wissenschaftler zum Zuge. »Jemand gehört nicht zu unserem Volk … das kann auch missbraucht werden.« Und so raunt es weiter. Eine Ahnung steigt im ZDF-Zuschauer auf: Sind wir etwa – was Gott verhüten möge – alle Fremde? Nur vielleicht nicht im Kegelverein, in dem wir uns so Bombe vertragen und durcheinandervögeln?

Grenzen wir etwa Fremdlinge aus und können gar nichts dafür? Und wie kriegen wir die »trotzdem« auf die Kirchenbänke?

Leschs großes Talent ist es, mit tiefem Ernst, offenbar selbst von seinem Wagemut erschüttert, Banalitäten zu Schicksalsfragen aufzupumpen: »Wie kann man aus Fremdsein Vertrauen schaffen?« Das ist zwar nur Geraune, aber »tief empfunden«, das ist es! Dem Pfarrer gefällt das so gut, dass er vorschlägt, diesen Quatsch als Power-Point-Projektion an die Flughafenkapellenwand zu werfen. Und augenblicklich passiert das! In gelber Gutelauneschrift erscheinen Tipps gegen oder für das Fremde bzw. das Fremdsein, das Fremdfühlen – gegen das Fremdschämen leider nicht, das jeden einigermaßen wachen Zuschauer längst befallen hat.

In der Flughafenkapelle bringt der Pfarrer noch ein paar Dauerbrenner aus der Bibel zu Gehör: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst … dabei könnte der Nächste ein Fremder sein.« Aber da jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, ist das Fremde vielleicht nur erfunden worden (von Gott persönlich), damit Lesch und Schwartz was zu bekakeln haben.

War’s das mit der »Nachdenkhilfe«? Nein, Prof. Lesch hat noch ein Schmeckerchen auf Lager. Auf das Völkische, auf Rassenkunde will er tunlichst nicht zu sprechen kommen. Aber es ist nun einmal so (»Neueste Studien besagen …«): Beim Anblick bekannter Gesichter reagiert unser Gehirn mit Endorphinen, sozusagen einem Gehirn-Orgasmus. Kommt jedoch ein Fremdling dir entgegen, reagiert es nicht – null, da ist oben einfach Ebbe! Also könnte »das Fremde« eigentlich auch zu Hause bleiben, oder nicht?

»Ah!«, stöhnen beide zufrieden auf, als sie sich auf die Flughafenwartesitze plumpsen lassen. Die Freunde gönnen sich einen köstlichen Flughafenkaffee in der Gewissheit, dass sie wieder einmal einem Welträtsel (»das Eigene und das Fremde«) auf die Pelle gerückt sind. Und zur Nachdenkhilfe gibt es gratis einen Verhaltenstipp: »Einfach mal Hallo sagen, wo kommst du her, Fremder? Wo willst du hin? Frei nach Nietzsche: Der Fremde ist ein Freund, den wir noch nicht kennen.«

Und wieder hat uns das ZDF geholfen, bessere Menschen zu sein! Und die Kirchenredakteure in ihrer Kirchenredaktion haben sich nicht nur ihr Gehalt redlich verdient, sondern auch einen Bonus von oben – von ganz oben.

FELICE VON SENKBEIL

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