Er ist ein Berliner!

UNSERE BESTEN

Wer es in der Hauptstadt zu etwas bringen möchte, der benötigt ein hartes Fell, von dem Taubendreck und Hundekot genauso abperlen wie die Patronen aus den Schnellfeuerwaffen der arabischen Clans. Wer diese Stadt sogar regieren will, der muss mit allen Wassern gewaschen sein, mit Wassern aus Spree und Havel, die bei Starkregen Unmengen von Fäkalien aus dem überfluteten Kanalisationssystem mitführen. Alles in dieser Metropole ist kaputt, zu spät oder riecht streng. Der allgegenwärtige Vandalismus zerstörte einst sogar Berlins bekanntestes Wahrzeichen, die weltberühmte Mauer. Aber die Berliner lieben diesen einzigartigen harten Charme und machten genau deshalb Michael Müller zu ihrem obersten Chef.

Zeichnung Frank Hoppmann

Michael Meier, wie ihn alle nennen, denen sein Name kurz entfallen ist, ist Berliner qua Geburt, geboren im heiligen AB-Bereich des VBB-Streckennetzes, wo die Berliner Luft nach Feinstaub riecht und die Türen automatisch schließen. In einer Stadt, in der Noblesse dadurch errungen wird, dass man der mütterlichen Vagina vor Ort entfleucht, hätte er es nicht nötig ge -habt, irgendjemandem etwas zu beweisen. Dennoch trat der Mann mit der größten Selbstverständlichkeit (Müller würde sagen »Ebend darum!«) in die härteste Partei der Welt ein: Die SPD sollte es sein. Müller gefiel, wie sich die Genossen zerfleischten, wie sie sich im Spannungsfeld ihrer sadistischen Parteivorsitzenden und ihrer sadistischen Wähler zermürbten. Davon wollte er ein Teil sein, wollte mittun in einem politischen Verband, der so selbstzerstörerisch ist wie Müllers geliebtes Spreeathen.

Ein beliebter Sinnspruch besagt: Wer mit 20 kein Sozialdemokrat ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 immer noch ist, hat ein Parteiamt errungen. Genau das trifft auf Müller zu. Wie er es geschafft hat? Man sieht es Müller nicht auf den ersten Blick an, aber er hat Nerven wie Ringlochbindungen und eine Stirn so fest wie ein Six-Pack aus Leitzordnern. Er trägt beides wie Meriten, die von seinem kolossalen bürokratischen Aufschwung zeugen. Müller hat sich hochgedient. Erst in der SPD, dann in den Beamtenbüros der Stadt. Dort kennt er jeden Papierlocher, jede Yucca-Palme und jedes quietschende Laserdruckerzahnrad zwischen Spandau und Köpenick. Alle Weggefährten bestätigen unisono: So einen wie Müller brauchst du in jeder Partei. Einen, der seinen Esprit und die eigene gute Laune auch mal zum Wohle der Partei und der Stadt hintanstellen kann, oder – besser noch – beides überhaupt nicht besitzt. Der auch mal dahinregieren kann, ohne dass viel passiert. Der miesepetrig guckt und der seinem Gegenüber durch sein bloßes Antlitz den Duft von Kaffee-Atem durch die Nase treibt. Ja, als Politiker ist Michael Müller der natürliche Gegenpol zu rheinischen Typen wie Wolfgang Bosbach mit ihren extrovertierten Toupets.

Aber Müller wäre kein echter Berliner, wenn in seinem Inneren hinter der festen Schale nicht ein klebriger weicher Kern aus Erdbeermarmelade zu finden wäre. Deshalb ließ er sich von seinen Koalitionspartnern des lieben Friedens willen zum Mietendeckel überreden. Klar, das war Sozialismus pur – mit all seinen Problemen. Ganze Straßenzüge in Berlin sehen inzwischen so marode aus wie in der DDR. Nur die Fassaden sind bunter, es gibt Aufzüge und die Grundmiete liegt zuweilen noch etwas oberhalb von 30 Ostmark.

Kein Wunder, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippte. Müller tut das leid. Er spricht mittlerweile von einem Fehler. Aber was willst du machen? Im Berliner Senat geht es drunter und drüber. Grüne und Linke versuchen sich mit kommunistischen Gesetzesinitiativen gegenseitig zu überbieten. Pop-up-Radwege hier, Straßenbahnausbau da – Karl Marx, Friedrich Engels und Kevin Kühnert hätten ihre wahre Freude daran.

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Bei so viel stalinistischem Übermut und planwirtschaftlichem Engagement ist es schwer für Müller, der Stimme der Vernunft im rot-rot-grünen Dreierbündnis Gehör zu verschaffen. Der linke Senator Klaus Lederer hält sich immer die Ohren zu und singt laut die Internationale, wenn Müller ihn darauf hinweist, dass man den stillgelegten Flughafen Tempelhof randbebauen müsse. Ramona Pop von den Grünen wollte sogar im Sinne des Artenreichtums Silberfische in Müllers Büro ansiedeln. Ja, manchmal fühlt sich der Regierende der größten deutschen E-Scooter-Versuchsanlage müde und einsam.

Wenn Müller sich morgens in seinem Dienstmercedes zur Arbeit fahren lässt, dann guckt er manchmal aus dem Fenster. Das erdet. Von diesem wahllos, ohne jeglichen Sinn und Verstand dahingebauten Haufen ist er der Boss. Noch! Denn Franziska Giffey ist die neue Spitzenkandidatin der Berliner SPD. Das ist ihre gerechte Strafe dafür, dass sie ihn mit ihren lauten Absätzen aus dem Amt getrieben hat.

Müller grummelt in diesen stillen Momenten andächtig vor sich hin. Viele Möglichkeiten zur Wutregulierung hat er nicht, denn er fährt kein Fahrrad und kann somit nicht die Touristen vom Radweg klingeln. Doch seit einiger Zeit hat Müller ein Ventil gefunden. Er nutzt seine Pressekonferenzen und öffentlichen Fernsehauftritte zum unkontrollierten Wutabbau. Diese Aggressionsschübe vor allem während der Corona-Pandemie lassen ihn plötzlich nahbar und menschlich erscheinen wie jeden Berliner Busfahrer, der die Fahrgäste aus dem Türbereich schreit, damit die Lichtschranke nicht mehr ausgelöst wird. Es liegt jetzt eine wohltuende Spannung in der Luft, wenn Müller spricht. Bleibt er beim Schimpfen sitzen oder steht der Regierungschef auf, um dem erstbesten Fragesteller eine der berühmten Berliner Schellen zu geben? Das bereitet dem Publikum einen gewissen Nervenkitzel und einen unstillbaren Durst auf Blut.

Man hört Müller plötzlich zu, auch wenn er nicht immer ganz korrekt die neuesten Coronaregeln daherbeten kann. Dann weiß er plötzlich nicht, ob die Schüler nach den Ferien normal in die Schule gehen dürfen oder ob sie zu einem Lollitest verpflichtet sind und in Quarantäne bleiben sollen, bis sie dreimal eine Sechs gewürfelt haben.

Geschenkt. Das ist den Zuschauern egal. Sie lauschen wie gefesselt dem Mann, der den Eindruck macht, dass er Markus Lanz in jedem Moment mit dem Studiostuhl erschlagen könnte. Seine Auftritte sind jetzt spannender als ein guter Horrorfilm, das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft und das SPD-Wahlprogramm zusammen.

Man darf gespannt sein, was da noch kommt. Vorerst kandidiert Müller für den Bundestag. Aber der Mann ist, man kann es nicht oft genug sagen, Berliner. Und deshalb per Geburt zu Höherem berufen. Schmidt, Schröder, Müller – das hätte eine gewisse Stringenz in der Abfolge der letzten SPD-Kanzler. Könnte Müller das? Egal, Hauptsache er würde wirklich mal handgreiflich werden!

ANDREAS KORISTKA