Dann wird Blut fließen!

In Köthen auf dem Wochenmarkt (ich suchte eine Krallenzange für den Hund) sprach mich ein Alter von der Seite an: »Dich kriegen wir auch noch, du Sau!«, sagte er sachlich, und ging rüber zum Gemüse.

Ich fühlte mich sofort in die Zeit der Friedlichen Revolution versetzt. Ein anderer Mann, der Zeuge dieser verstörenden Szene geworden war, lachte. »Der hat Sie verwechselt«, sagte er. »Der hält Sie für den XY – und der ist tatsächlich eine Sau!« »Wieso ist der denn eine Sau?«, fragte ich. »Ein Wessi, der hier alles plattgemacht hat, Sie sehen ihm ähnlich, von der Visage her, aber dafür können Sie ja nichts.«

Mario Lars

»Einer, der hier Frauen, Autos und Häuser besitzt?«, fragte ich.

»Straßen! Und ein Flugzeug, Zweisitzer, wie der Merz eins hat«, ergänzte der Mann und ging rüber zum Gemüse.

Wieder zu Hause im Brandenburgischen wurde ich per WhatsApp von Rolf, dem Leiter unseres Gesprächskreises »In Würde altern«, um ein Keynote-Speech für unsere Zusammenkunft in der Bibliothek »Ernst Jünger« am nächsten Montagabend gebeten – Thema: Der »Boomer-Soli«. »Du bist der einzige mit Abitur«, war die Begründung.

Und jetzt sitze ich da.

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»Also«, werde ich sagen, »es gab einmal eine Zeit ohne Krieg, ohne Fernsehen und Internet. Aber was es gab – es gab wieder zu essen. Und manche fuhren sogar in den Urlaub. Sogar mit Auto. Das waren unsere Väter und Mütter, diese Hallodri! Bei solchen Gelegenheiten wurden wir gezeugt, in Prerow im Spitzzelt oder in Rimini im Hotel oder im Hafer beim FDJ-Ernteeinsatz – ein Baby-Boom, ein gesamtdeutsches Fertilisationswunder! Wir, wie wir hier sitzen, sind Boomer, damit ihr’s wisst!

Wir müssen uns aber dafür nicht schämen. Nur sind wir eindeutig zu viele für unsere Rentenkasse, da wir darauf beharren, lange am Leben zu bleiben. Einige von uns Boomern kriegen heute eine fette Rente – denn sie waren zeitlebens klug und fleißig oder sind in die zusammengebrochene DDR geeilt und haben hier Gold geschürft. Andere, so wie wir hier sitzen, kriegen nur eine kleine Rente, denn wir waren faul oder dumm oder staatsnaher Kulturbund-Funktionär, wie unser Rolf hier. Das ist natürlich höchlichst ungerecht! Aber wir können ja aufstocken, wie ihr wisst.

Huse Fack

Marcel Fratzscher, ein Professor, der es gut mit uns meint, meint, wir sollten uns den Rest, der uns für einen vernünftigen Zahnersatz fehlt, von den reichen Rentnern und ihren Zusatzrenten und Rheinmetall-Dividenden holen. Ohne Blutvergießen wird das aber nicht abgehen. Denn dass der Bundestag einen fratzscherschen ›Boomer-Soli‹ von Leuten, die Millionen in der und an der Börse haben, einfordern wird, bleibt wohl ein süßer Traum. Und dann gibt es neben dem Fratzscher noch einen anderen Spaßvogel, den Jugendforscher Hurrelmann (81). Der fordert, die Rentner, bei denen es hinten und vorne nicht reicht, sollten sofort mit der Pfandflaschensuche aufhören und sich lieber in einem ›Sozialen Jahr‹ steuerpflichtig selber was dazuverdienen. Das wäre nur gerecht, weil wir Rentner im bevorstehenden Krieg nicht eingezogen werden können. Da wir aber schon Prospekte austragen oder im Hospiz die Toiletten reinigen, weiß ich nicht, wie wir das unter der Woche terminlich wuppen sollen.«

Denis Metz

»Ergo«, werde ich abschließend sagen, um meinem Ruf als Abiturient gerecht zu werden, »hilft da nur revolutionärer Furor, enthaupten, erschießen, einfrieren – die fetten Konten meine ich.

Übrigens, in Köthen sind sie da schon weiter.«

»So«, wird unser Rolf dann sagen. »Danke dir für die wegweisenden Worte. Unser Thema für September ist ›Rosen beschneiden – aber wie?‹. Um rege Teilnahme wird gebeten.«

MATTI FRIEDRICH

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