Berliner Geschenke: Kommunismus neben den Mülltonnen

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»Huch!«, schrie jemand von unten. »Wat willste? Uff die Fresse?!«, schallte es von oben drüber zurück. Ein Waschbeckenunterschränkchen lag zerschellt vor den Füßen unserer Aufgangsältesten (eine bekennende Antifaschistin und ehemalige Russischlehrerin), die nun versuchte zu verstehen, woher die Attacke kam.

Die Hofgemeinschaft eilte schnell zusammen und man googelte, ob ein Polizeieinsatz angebracht wäre. Schließlich könnte so ein Waschbeckenunterschränkchen, aus dem vierten Stock geworfen, einen Todesfall herbeiführen, womöglich politisch motiviert. Dann kam die Entwarnung: Es ist BSR-Kieztag.

Die BSR, die Berliner Stadtreinigung, veranstaltet in Kooperation mit den Bezirksämtern neuerdings Sperrmüllsammelaktionen. Da darf jeder Kiezbewohner alles vor die Tür schieben, was ihm lästig geworden ist. Das wird dann kostenlos abgeholt. Bettlägerige Angehörige, ungeliebte Haustiere und Schreibabys müssen extra angemeldet werden.

Bisher wurde von den Bürgern erwartet, dass sie ihren Schrott und Plunder selbst zum BSR-Recyclinghof karren. Eine Zumutung fanden das die Berliner und halfen sich selbst.

Auch der Stadtverwaltung war aufgefallen, dass Berliner lieber ihren Kram mit einem »zu verschenken«-Zettel auf die Straße stellen (also Gutes tun) statt für Entsorgung zu zahlen. Versiffte Matratzen, zerfallene Billy-Regale oder angeknabbertes Babyspielzeug werden im Sinne der Nachhaltigkeit dem Kreislauf der Stadt übergeben. Solidarisch, ökologisch und praktisch. Möblierte WG-Zimmer bestehen großteils aus verwanzten Straßenmöbeln, und Kinder werden direkt aus den Kartons vor den Hauseingängen eingekleidet.

Und alles, was für den Vintagemarkt und Kleiderkreisel zu verrottet ist, bleibt liegen, bis es sich in den Asphalt eingetreten hat. Das kann Jahre dauern. Die feuchten Sperrmüllberge bieten gemütliche Nistmöglichkeiten für Nager und sind beliebte Fotomotive für Berlintouristen. »Det is Berlin, real and dirty.«

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Mit den Kieztagen schlägt man gleich mehrere Ratten mit einer Klappe. Die Leute misten aus und kaufen neu, die Straßen werden sauberer und die Gemeinschaft wird gestärkt.

Weil der Berliner gern sammelt und tauscht, dealt und schachert, gibt es vor der Entsorgung einen Tausch- und Verschenkemarkt. An unserem Kieztag war »Kaiserwetter«, stellte die alte Nachbarin fest und vergaß das Attentat. Sie wollte ihren Keller ausräumen, den sie seit Kriegsende nicht betreten hatte, und alles verschenken, was noch brauchbar war. Ich pfiff meine Söhne herbei, die sollten beim Schleppen helfen.

Auch wir hatten einiges zu viel. Bücher, Steuerordner, Fahrradrahmen mit ungeklärten Besitzverhältnissen, eingemachtes Obst von der Oma und etliche Pelzmäntel. Das ist meine heimliche Leidenschaft: Pelze. Ich habe sie über Jahre auf Flohmärkten gesammelt und mich nie getraut, damit S-Bahn zu fahren. Tierschutzaktivistinnen hätten mich gelyncht – und als Vegetarierin und Patentante einer Milchkuh konnte ich das auch selbst nicht vertreten. Nun also präsentierte ich der gesamten Nachbarschaft meinen perversen Fetisch.

Auch andere scheuten nicht, ihre befleckten Bettlaken, benutzten Zahnbürsten und stinkenden Teppiche rauszuholen. Wir hatten viel Spaß, tauschten Anekdoten zu unserem Krempel aus – »Weißt du noch, auf den Teppich hatte Reiner gekotzt, zu Silvester vor Corona.« »… Und wir haben uns darauf geliebt …« – Oder eine Küchenmaschine, die hatte das Gericht Klaus zugesprochen, dafür bekam die Ex die Katze, aber sie rückte das Rührgerät nicht raus. Unsere syrischen Nachbarn nahmen sich des Trennungsobjekt an und versprachen, es gut zu behandeln.

Auch meine Pelze fanden Interessenten. Einer wollte seine Autositze mit meinen kuscheligen Schätzen beziehen, und die Heilpraktikerin aus dem Erdgeschoss hatte die Eingebung, eine Schwitzhütte daraus zu nähen.

Da könne ich auch immer mal schwitzen, wenn ich Sehnsucht nach meinen Füchschen, Kaninchen und Lämmern hätte. Wir tauschten zwei Dutzend Pelzmäntel gegen eine vernachlässigte Dattelpalme und waren beide zufrieden. »Das ist wie Kommunismus«, flüsterte jemand neben mir. Besitz und Profit spielten keine Rolle. Die Freude der Gebenden und der Beschenkten erhellte unseren schattigen Hinterhof. So geeint und harmonisch war unsere Wohngemeinschaft seit der Pandemie nicht mehr.

Der Keller der alten Lehrerin war mittlerweile leergeräumt und laute Begeisterungsrufe lockten die Bewohner an. »Wow! Alter! Nen MAC, original-verpackt!« »Krass! Ne PS5!« Und etliche Fahrräder, Fernseher, Computer und Markenklamotten.

Die alte Nachbarin hatte angeblich keine Ahnung, wer ihren Keller mit Wertsachen vollgestopft hatte und wir wollten es auch nicht wissen. »Vielleicht sollten wir jetzt die Polizei rufen«, trällerte eine junge Mutter durch den Hof. Mein Sohn hatte schon die Playstation unterm Arm und ich schielte auf den Computer. Es wäre ja schade, wenn die BSR das ganze Zeug in die Müllpresse schmeißt, fanden die meisten. Aber verschenken, tauschen oder der Polizei übergeben schien uns auch unangebracht.

Die ausgelassene Stimmung war verflogen. Schweißnasse Gesichter, schmale Augen, zittrige Lippen … Gier lag in der Luft. Die alte Nachbarin stellte sich auf einen Cartier-Koffer und rief: »Schluss mit Kommunismus! In zwei Stunden rückt die BSR an, bis dahin ist das ganze Zeug verkauft.« Die Preise bestimmte sie, spontan, ließ aber mit sich handeln.

Als die Männer in Orange anrückten, war unser Hof wie leergefegt. Zur Entsorgung wurde nur ein zerschmettertes Waschbeckenunterschränkchen übergeben.

FELICE VON SENKBEIL
FOTOS UND COLLAGEN: GUIDO SIEBER

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