Angetreten zum Gottesdienst
FERNSEHEN
Ein Beben erschüttert das Land. Verunsicherung, Ratlosigkeit, Angst vor dem, was da kommen wird. Nicht der nächste Weltkrieg, die Dürre oder die angedrohten jährlichen TÜV-Kontrollen machen uns Sorgen – es ist »die Tagesschau«, das Flaggschiff des deutschen Fernsehens, die Institution des Vertrauens, der einzige Grund, den Tag bis 20:00 Uhr zu überleben. Sie ist in Gefahr, unsere »Tagesschau«.
Erneuerung, Modernisierung, dem Zeitgeist gerecht werden will man plötzlich. Dabei sind die letzten fünfzig Jahre relativ unauffällig an diesem Nachrichtenformat vorbeigegangen. Wacker hat die »Tagesschau« die Tradition des Ansager-Fernsehens aufrechterhalten.
Als andere begannen, lässig durch Studios zu schreiten, frei miteinander zu plaudern, mit offenem Mund zu lachen oder Einspieler zu kommentieren oder Katastrophenbilder mit Musik zu unterlegen … blieb man bei der »Tagesschau« konsequent steif.

Neuerdings ließ man sich allerdings dazu hinreißen, den Krawattenzwang zu lockern. Der BH-Zwang für die Moderatorinnen blieb jedoch erhalten.
Dezent zurechtgemacht, immer langärmelig und gut frisiert grüßen unterkühlte Sprecher und Sprecherinnen wie Susanne Daubner, Jens Riewa oder Thorsten Schröder die Deutschen (immerhin im Schnitt acht Millionen und sogar fast zwei Millionen sollen unter 49-Jährige sein) mit einem »Guten Abend, ich begrüße Sie zur Tagesschau!«. Die Damen-und-Herren-Begrüßung hat zu Geschlechterirritationen geführt. Und Damen und Herren sind ja auch so gut wie ausgestorben. Ich spreche das trotzdem immer noch leise mit, zum Erhalt des kulturellen Erbes.
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Auch daran, dass die Moderatorinnen neuerdings untenrum gezeigt werden, muss man sich erst mal gewöhnen. Warum es nötig ist, zu sehen, ob Frau Daubner dicke Schenkel hat oder Herr Riewa in Badelatschen moderiert, weiß niemand so genau. Womöglich hat es was mit der Glaubwürdigkeit zu tun. Verschwörungstheoretiker zweifelten schon lange daran, dass die Sprecher Unterkörper haben. Ein vollständiger Mensch ließe sich ja nicht von »oben« vorschreiben, was die Wahrheit ist und was nicht.
Nun also der Beweis: Sie sind Menschen, diese »Tagesschau«-Sprecherinnen und -Sprecher. Was wirklich in ihnen vorgeht – wir können es nur erahnen. Manchmal ein betroffenes Zucken im Augenbereich, manchmal ein leichtes Lächeln, wenn schönes Wetter versprochen wird. Diese professionelle Sachlichkeit lieben wir an der »Tagesschau«.

Seit 1959 läuft das schon so. Karl-Heinz Köpcke war der erste Nachrichtensprecher und ein Hüter des Traditionellen. Erst in den 70ern wurde das Design aufgefrischt. Es wurde bunt und man beschloss, Deutschland auf der Weltkarte nicht mehr in alten Reichsgrenzen darzustellen.
So behutsam ging man bei der »Tagesschau« mit der Zeit. Als die Titelmelodie aufgepeppt werden sollte, drohten verzweifelte Zuschauer, in den Hungerstreik zu treten. Mit Erfolg. Nur die letzten vier Töne der traditionellen Fanfare wurden leicht verändert, vom etwas Depressiven ins leicht erfrischend Optimistische.
Besonders hitzig ging es zu, nachdem 2005 das Studio neu designt wurde. Niemand weiß genau, was das bläulich leuchtende Objekt in der Größe einer Parktoilette in der Mitte des Studios darstellen soll, aber es ist magisch. Seriosität, Beständigkeit und Hoffnung (darum blau) strahlt es aus. Und nachhaltig ist es irgendwie auch; Holz, Glas, in der Anmutung eines Walfisches. Die eigentlichen Nachrichten werden in der »Nahen« verlesen, damit die Irritation über den Studiowal beim Zuschauer gering bleibt. Seitdem müssen die Moderatoren im Stehen arbeiten. Was wiederum als Zeichen der Solidarität mit dem ehrlich arbeitenden Volk zu werten ist. Außerdem werden Thrombosen verhindert und etwas mehr Dynamik erzeugt. Nur minimal und behutsam waren die Veränderungen an der »Tagesschau« bisher. Sie ist doch unser abendlicher Gottesdienst und an dem wagt schließlich auch niemand herumzumodernisieren.

Was genau die ARD-Intendanz diesmal ausgeheckt hat, ist noch geheim. Länger soll die Sendung vielleicht werden, was dramatische Folgen für die Abendroutine der Deutschen bedeuten würde. Dreißig statt fünfzehn Minuten »Tagesschau« hieße hinten raus: keine Zeit mehr für Zahnpflege und Beischlaf. Vielleicht geht es auch in Richtung »Tagesthemen«: mehr Freestyle, Jessy-Wellmer-Kopfgewackel, kecke Überleitungen und zum Karneval mit einem Hütchen auf dem Kopf.
Wir sind gespannt und immer bereit für den Hungerstreik.
FELICE VON SENKBEIL
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