Geil Alter, richtig Magie!

FERNSEHEN

»Lichterloh! Die Garage brennt lichterloh!«

Ein hysterischer Rentnernotruf – Rentner übertreiben ja oft. Doch die dramatische Musik und die ernsten Gesichter der Feuerwehrleute, die in ihre Kutten schlüpfen, lassen erahnen, was kommt: Hochspannung, Gefahr, echtes Leben!

Einsatzleiter Raschel, 54, resümiert gleich nach dem Vorspann, mit welchen Gefühlen er und die Mannschaft ins Gefecht gezogen waren: »A Garage, vielleicht a Auto … in keinster Weise habbe mir damit gerechnet, was wir in dieser Nacht erlebt hebben.«

Es kommt dicke, es geht um alles! Wer da nicht dran bleibt, hat schwache Nerven, einen nervösen Darm oder gehört selber zur Blaulichtfamilie und wird gerufen.

Karsten Weyershausen

Es ist die erste Folge der 10. Staffel von »Feuer & Flamme«, diesmal produziert vom SWR. Die Real-Life-Doku ist ein moderner Heldenreigen für Schwaben, eine Hommage an die Behüter ihrer schönen Heimat und ein Beweis: Bei ihnen ist auch was los, und zwar: »die Hölle!«

Feuerwehrmann Raschel glaubt, sie zu kennen und ist bereit, ihr zu trotzen. »Wir gehen an unsere Grenzen und darüber hinaus.«

»Feuer & Flamme« ist in der ARD ein Dauerbrenner. Seit 2017 wird die Feuerwehr bei ihren Einsätzen begleitet. Da soll mal einer sagen, das Öffentlich-Rechtliche sende an den Bedürfnissen der Gebührenzahler vorbei! Es loderte schon in Gelsenkirchen, Bochum, Duisburg – und nun endlich auch in Heidelberg!

Überall im Sendegebiet gibt es Zusammenballungen von Pyromanen, die keine Folge verpassen. Für die ist »Feuer & Flamme« wie ein SPD-Parteitag für SPD-Mitglieder. Die kennen die Brandbekämpfer der einzelnen Wachen beim Namen. Es gibt Stammtische, Fanclubs und Kaffeetassen mit Heldenportraits. Der Tobi, der Maik, der Xandi, der Daniel, der Raschel, die Laura werden ab jetzt auf dem Heidelberger Marktplatz unerkannt kein Eis mehr essen können.

Satire & Humor per E-Mail
Der EULENSPIEGEL-Newsletter erscheint Dienstag und Donnerstag mit auserwählten Beiträgen.

Einer Langzeitstudie nach wird, wer regelmäßig »Feuer & Flamme« guckt, nie zum Gaffer in Notlagen, behindert nie die Einsatzkräfte und beschmeißt sie nicht mit Eiern. Vielleicht habe ich mir diese Studie nur ausgedacht oder sie wird unter Verschluss gehalten, um solche Dokus nicht in Dauerschleife senden zu müssen.

Über Heidelberg verdunkelt sich der Himmel. »Oha! En Großbrand!« Nicht eine, sondern drei Garagen brennen. Für Kevin und Tobi ein besonderes Ereignis: »Is ja imma schön, wenn man sein Handwerk zum Einsatz bringen kann.« Dieses Feuer ist so üppig, das reicht locker für 44 Sendeminuten und Adrenalin pur.

Leider schreit keiner oder ruft wenigstens nach der Feuerwehr. Es verbietet sich natürlich, Hilfe- oder Schmerzensschreie aus einem Schmerzensschrei-Archiv in ein Doku-Format einzufügen (und das passiert hier auch nicht). Da muss eben die treibende Musik den Gruselfaktor liefern. Es scheinen auch keine Menschen in den Garagen zu hausen, glücklicherweise. Also, vielleicht war es doch nicht das Armageddon, vermutet der Zuschauer und kann erst mal durchatmen.

Zunächst müssen die Kameraden nach Wasser suchen. »Da gucken die Leute schon und fragen, was machen die eigentlich, warum löschen

die nicht einfach?«, sagt Daniel, 30. Die meisten Leute wissen das mit dem Wasser ja gar nicht. In der Nachbarschaft wird nach Hydranten und Kellerschlüsseln gefragt … wertvolle Zeit verrinnt, in der das Cabrio abfackelt.

Das sind die Momente, die eine Helden-Doku braucht. Und auch ein paar Basis-Informationen für die Passivhelden auf dem Sofa: Was verdient man eigentlich als Brandbekämpfer? Und stimmt es, dass ihr acht Jahre weniger Lebenserwartung habt? Und: Stinkst du auch privat nach Rauch?

In Heidelberg ist man noch dankbar, wenn das Martinshorn ertönt. Das soll auch so bleiben. Darum erklären die Feuerwehrmänner unter ihren Atemschutzmasken sehr geduldig, dass sie nun erst mal löschen müssen, dann gern für ein »Q and A« zur Verfügung stehen. Das Ganze in schönstem Schwäbisch und leicht aggressiv, was trotzdem süß klingt.

Dann: Endlich Wasser! Und endlich Action! Jetzt brennt auch das Nachbarhaus. Aber keine Panik:

Die jungen Wilden – der Kevin und der Tobi – freuen sich über das zischende Alu in einem brennenden Automotor. »Wenn Wasser auf Aluminium trifft, trennt es sich in Sauer- und Wasserstoff, das macht so schöne Farben«, erklärt der Einsatzleiter – die Leute sollen ja auch was lernen. »Geil, Alter, richtig Magie!«, findet das der Tobi.

Dann bekommt der Chef »Blutdruck«. An den Dachstuhl ist kein Rankommen. Alles dicht gemacht in der schwäbischen Hütte, damit keiner heimlich oben Hanf anbaut. Das Dach wird aufgebrochen – nun doch: echte Schreie durch die Nacht! »Das gute Dach, wer soll das bezahlen?« Auftritt Xandi, 50, mit der Spitzaxt: keuchen, schwitzen, brüllen, fluchen – unbezahlbar der Mann und: echtes Leben! Da kommt kein »Tatort« ran!

Ein Kamerad hat seinen Sauerstoff »weggeschnieft« und wird aus der Kampflinie befohlen. Im Mannschaftswagen wird er mit Schokolade und Studentenfutter aufgepäppelt und – hab ich das richtig gesehen? – sogar ein bisschen gestreichelt.

Zärtlichkeit gibt es sonst nur bei der Bundeswehr.

Die Seniorenwohnung sieht aus wie zerbombt. Hätte man nicht wenigstens vor dem Brand die Bilder abhängen können? »Hilfe! Hilfe!«, klingt es zart aus dem verkohlten Schlafzimmer. Wird es jetzt noch mal spannend? Nein, es ist nur Laura, die kleine Feuerwehrfrau. Sie baumelt an der Zimmerdecke, weil ihr die Leiter weggerutscht ist. »Wolle mer se hänge lasse?« Da lacht das Schwabenland, und wir sind ganz nah dabei.

Am Ende sind alle froh. Die Bürger bedanken sich und erzählen nun, dass es wohl Asbestplatten waren, die das Schlimmste verhindert haben. Und das in der 42. Sendeminute.

»Ein Risiko ist immer dabei. Am Ende zählt der Teamgeist. Und so ein Großbrand schweißt zusammen.« Vielleicht brauchen wir mehr davon.

FELICE VON SENKBEIL

    Anzeige

Auslese

Witzige Cartoons und bissige Satire per Newsletter

Melden Sie sich jetzt kostenlos an: