Ein Kerl zum Liebhaben
Dass ich neulich auf Stegner traf, kam für mich nicht überraschend. Es war an einem Montagnachmittag (oder war es Dienstag?) in dem kleinen Stehbistro in Hamburg-Bahrenfeld. Ich nenne den Namen des Lokals absichtlich nicht: Schräg gegenüber wird »Markus Lanz« produziert, das zieht natürlich Neugierige an, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lästig es ist, wenn Leute eintrudeln, um »Prominente zu gucken«.
Ich war mir sicher, auch (zum wiederholten Male!) für »Lanz« gebucht zu sein. Als ich aber in meinem Timer blätterte, merkte ich, ich war falsch – auf mich wartete zu nämlicher Stunde die Sandra Maischberger in Berlin-Adlershof (ich sollte dieses TV-Zeugs doch wirklich etwas reduzieren!).

Aber Stegner war natürlich richtig hier; er ist im Talkshowzirkus für seine Zuverlässigkeit bekannt, ruft Redakteuren gern zu: »Ich komme auch sehr kurzfristig, wenn ihr mal einen Ausfaller habt.« Er schneite also rein, nickte kurz und unspezifisch und strebte einem freien Tischchen zu.
Wer glaubt, es hätte nun ein großes »Hallooo!« quer durchs Lokal zwischen uns beiden gegeben, irrt sich. Zwischen uns Leuten der medialen/politischen/kulturellen/künstlerischen – ich sage mal ganz ungeschützt – »Elite« gilt ein ungeschriebenes Gesetz: Wir kumpeln uns nicht an! Niemals! Erst wenn wir feine mimische, halb spöttische Signale ausgetauscht haben, die für Außenstehende gar nicht zu dekodieren sind, kommt ein »Na, auch wieder mal dabei?« oder ein »Der Intendant sagte mir schon, dass du (oder Sie) auch wieder da sein würdest«, fliegt durch den Raum.
Ich hatte aber nicht die geringste Lust, Stegner irgendwelche Signale zu senden. Erstens hätte ich ihm gegenüber eingestehen müssen, dass ich mich in meinem Timer nicht auskenne. Und zweitens kann ich den Kerl nicht leiden.
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Dass man jemanden nicht ausstehen kann, ist in unserer – ich sage mal ganz ungeschützt – »Klasse« natürlich kein Grund, nicht scheißfreundlich zu sein! Im Gegenteil – das tropft nur so! Gerade zwischen Leuten, die sich verabscheuen, da wird es geradezu herzlich. Uns beseelt nämlich eine Mission. Wir wollen den einfachen Leuten, die jeden Morgen aufstehen, zeigen, dass wir zu Recht prominent sind, dass wir Stil, Kultur, Noblesse haben – kurz, dass wir der »Adel des Geistes sind«, wie es Dieter Bohlen einmal für sich reklamierte.
Aber Stegner ist mir unsympathisch. Wäre er ein Hund, ein großer, ich würde ihn glatt im Tierheim lassen. Das Schlimmste an ihm: Er nuschelt so schrecklich, dass man gezwungen ist, stets auf seinen Mund zu schauen, um was zu verstehen. In seinen Mundwinkeln bilden sich feuchte Bläschen und man denkt unwillkürlich: Gleich tropft er.

Er doziert, denn er hat immer Recht. Dabei hält er riesige blutleere Hände mit etwas Abstand vor dem Bauch, lässt sie von der Leine, lässt sie zucken wie bei einem großen mechanischen Weihnachtsmann – runter, hoch, runter, hoch. Jemand bräuchte nur den Stecker zu ziehen. Im Internet fragen die Leute bei Google nach der Sendung: »Ist Stegner krank?«
Seine Rede ist nölig, er hat wahrscheinlich was mit den Polypen. Natürlich kennt er seine schwache Seite – er hat keinen Humor, versteht auch keinen. Bei »Lanz« (ich habe die Aufzeichnung gesehen) wartet er misstrauisch, ob andere was zum Lachen sagen, ist sich nicht sicher, ob das ein Witzlein war, wartet, ob jemand lacht, vergewissert sich nochmals durch seine monströse Brille und gibt dann, in der Mimik todernst, ein leicht hustendes »Ho, ho« von sich.
Er wird auch laut, hat aber die Stimme nicht dazu. Er glaubt wirklich, Argumente seien dazu da, durchgesetzt zu werden. Welch ein Irrtum!
Deutschlandweit gilt er als Karrierist. Man kann den Test machen: Welcher Politiker fällt dir bei dem Wort »Karrierist« ein? Antwort? Stegner! Alle wissen, dass er der Heidemörder war (bitte googeln!). Nein, ist – denn Mord verjährt nicht. Nach dem Heidemord schrieb er einen »offenen Brief« an den Heidemörder, er solle sich outen. Da haben alle sehr gelacht. Er hat das studiert, was Leute studieren, die nichts wissen müssen, aber in die Politik streben: Politik»wissenschaft« und Germanistik. Er hat eine Dissertation geschrieben über den Fernsehwahlkampf in den USA – auf die hatte die Welt gewartet. Er hat als Aktentaschenträger im Ministerium angefangen und erzählt (auch bei »Lanz« wieder) ungefragt: »Ich war zwei Mal Landesminister.«

Jetzt legt Stegner einen kleinen Schein auf den Tisch, jetzt wird er rüber ins »Lanz«-Studio gehen und dort einen seiner berühmten Stegnersätze sagen: »Ich bin doch nicht doof!«, jetzt, die Tür schon in der Hand, guckt er aus dem Augenwinkel kurz zu mir herüber, denkt vielleicht »Ach, der!«. Und ich denke:
Mach’s gut, alter (65) Mann! Du hast Mut bewiesen. Als halb Deutschland fiebrig war nach einem feinen Krieg, als die Rüstungsproduktion schon angelaufen war und die Milliarden schon genehmigt, als der Kriegsminister der beliebteste Politiker der Deutschen war, als alle schrien »Haut den Feind!«, als deine Partei fast schon den Endsieg halluzinierte, als dein Freund »Mütze« einsam, verbittert, suizidal im abgedunkelten Zimmer hockte, als dich der Kriegsminister scheinheilig auf eurem Parteitag »mein Freund Ralf« nannte – da hast du gesagt:
»Ja, seid ihr denn alle verrückt geworden?«
Du hast – im Unterschied zu Olaf Scholz – nicht umsonst gelebt!
Ralf Stegner hat drei blitzblanke Söhne. Ich bin sicher, die haben ihn lieb.
MATHIAS WEDEL

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