Alles dufte!
WEST-FERNSEHEN
Noch ekliger als die Arroganz der Westdeutschen gegenüber uns Ostdeutschen, ihre Geldgier, ihre Helmut-Kohl-Verehrung – und dass sie »Mütze anziehen«, statt »aufsetzen« sagen – noch ekliger als all das ist die Art und Weise, wie ihre Westmedien seit geraumer Zeit den Ossis auf selbstgelegter Schleimspur hinterherkriechen.
Nach Jahrzehnten der Nörgelei über den Osten, hunderten Stasi-Storys, Erlebnisberichten aus der Wochenkrippe und der steten Aufforderung, gefälligst dankbar zu sein – inklusive fortdauernder Demokratiebelehrungen –, haben sie es endlich gerafft (wie der Ossi sagt): Wir waren Weltklasse!
Wir konnten massenhaft Wohnungen bauen, die oft heute noch taugen, wir hatten eine florierende Autoindustrie, die nie unter »Nachfrageschwäche« litt, und unser Kaffee kam aus nachhaltigem Anbau und war zum Platzen voll mit wertvollen Antioxydantien. Doch das Schönste: Wir selber besaßen etwas, was auch unseren Kleinwagen auszeichnete, und was die Westdeutschen so sehr ersehnen, dass sie dafür ein schillerndes Wort erfunden haben: Resilienz. Wir würden sagen: eine gesunde Leck-mich-am-Arsch-Haltung.

Auch die neue Show »DDR genial« im ZDF bläst den Ossis ordentlich Zucker in die Hintern. In der dreiteiligen Doku-Talk-Reihe wird alles präsentiert, was es Gutes über den verbrecherischen Honecker-Staat zu berichten gibt. Offenbar war die DDR ein Paradies für Nonkonformisten. »Das Land der Tüftler und Visionäre« wird sie genannt, ein El Dorado »der kleinen Geistesblitze und großen Einfälle, oft zwischen Ideologie und Improvisation, in einem System voller Widersprüche«. Ja, statt Verbrechen der SED-Diktatur entdecken die Leitmedien plötzlich mehr oder weniger kuriose Widersprüche. Sogar genial soll der Osten gewesen sein.
Und jetzt wird’s peinlich. Um das zu belegen, werden einige fast vergessene Promis, die ihr Glück kaum fassen können, in hübsche Ostwohnzimmer-Kulissen gesetzt, um sich an das Geniale in der DDR zu erinnern. Nur Ossis natürlich.
Mit den Ost-Promis werden junge Ost-Influencerinnen gepaart, um vielleicht einige ihrer »Follower« abzugreifen. Dann dürfen sich die Gäste über die »Rennpappe«, den Lipsi und Dederon lustig machen – aber immer nett. Mit dem Humor, wie man in der Rückschau über die Tapsigkeit von Kleinkindern lacht, die jetzt echte Bundesbürger geworden sind. Denn Ossis wissen stets – aus 35 Jahren deutscher Einheit plus 40 Jahren Diktatur – was von ihnen erwartet wird.
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Auch in diesen Retro-Shows: nicht zu offensichtlich positiv, ironisch verschmitzt und mit kritischem Abstand sollen sie plaudern. »Haha, auf die Auslieferung meines Trabis warte ich heute noch«, witzelt der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss.
Ansonsten aber: alles dufte! Boxlegende Axel Schulz findet die DDR wie immer voll klasse, Jens Weiß-flog lässt sich zu keinem spitzen Kommentar verleiten und Wolfgang Lippert hat sowieso nichts zu verlieren. Er plaudert seine Luftmatratzenidee aus: zusammengeklebte Fahrradschläuche (für die Republikflucht über die Ostsee?).
Genial! »Staunen, lachen, raten« könnte auch der Titel der Show sein – ein bisschen wie Kinderfernsehen mit Bildungsanspruch. Plastik-, Papp- und Stoffteile werden betastet – »Unkaputtbar«, »Toll, wozu wir fähig waren!«. Und eine nette Anekdote jagt die nächste. O-Töne wie: »Wir hatten ja nüscht«, »Not macht erfinderisch« oder »Wir mussten uns ja was einfallen lassen« sind höchst willkommen. Den Zuschauern nehmen sie vielleicht die Angst vor der AfD im Osten – wie handzahm die Ostler doch sein können! Und die ostdeutschen Gebührenzahler sind versöhnt: Endlich mal Stolz fühlen statt Scham und Reue. Plötzlich ist die »Stinkepappe« eine geniale Erfindung, und unser SERO (die annähernd lückenlose Erfassung von Papier, Textilien, Glas und Schrott) wäre heute eine Wunderwaffe für die Nachhaltigkeit.
Kein Westhistoriker kommt daher und sagt, wie furchtbar wir gelebt haben, kein J. B. Kerner, Günther Jauch oder Barbara Schöneberger erzählen ihre witzigen Geschichten von doofen Ost-Verwandten oder Klassenfahrten in die stinkende Zone. Ostdeutsche in freier Rede – fast unkommentiert.

Axel Schulz ist mit seiner Tochter im Team. Mit leuchtenden Augen lauscht sie dem Papa. Der bekommt feuchte Augen, als Töchterchen in die Dederon-Schürze schlüpft, und schmilzt bei der Sahneimitat-Torte dahin. (Übrigens, der andere Boxer, Henry Maske, wäre eine Fehlbesetzung gewesen: Der bedankt sich reflexhaft in jede Kamera für das Glück der Deutschen Einheit.)
Anja Kling war vielleicht pikiert, dass sie als Ostlerin eingeladen wurde. Diese schmuddelige DDR hat sie ja lange hinter sich gelassen. Aber auch sie knabbert verzückt am Imitat-Zitronat und fällt in Nostalgie. Und Jens Weißflog wird fast übermütig: »Es gab sehr viele schlaue Menschen in der DDR, die gesagt haben, das können wir.« Wer hätte das gedacht!? »Doch die Stasi ist immer dabei«, war ein geflügeltes Wort in der DDR. Und sie ist es auch hier. In Gestalt einer Dame vom Stasi-Unterlagen-Archiv, dem Gral der ewigen Wahrheit. Die Stasibehörde als Instrument der Rache an den Kommunisten? Das ist vorbei: Die Professorin erzählt lustige Geschichten: Wie die Stasi aufmuckte, als der Kaffee zu heftig gestreckt wurde. »Das Zeug verstopfte die Kaffeemaschinen und schmeckte scheußlich«, weiß sie. Und dass Stasimitarbeiter in ihrer Freizeit, unbezahlt also, den ersten Spielcomputer »Poly-Play« entwickelt haben. Das glaubt ja keiner, die Stasi hat dem Volk auch Spaß gebracht?

Vielleicht ist das jetzt das neue Narrativ: Die Stasi meinte es »eigentlich« gut, Honecker war böse? Das verwirrt die jüngeren Zuschauer wahrscheinlich. Aber das ZDF traut sich mal was.
Warum jetzt so positiv? Sind es die Quoten, die verstimmten Gebührenzahler, die Falschwähler? Bestimmt alle. Und eine geniale Idee ist schon geboren. Einen Ostländer-Fernsehsender, dann ist es vorbei mit der Schleimerei.
FELICE VON SENKBEIL
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