Was hat der Kanzler gesagt?

»Stadtbild« hat er gesagt! Da heulten die Presseagenturen. Menschen in Straßen, Gassen, Badeanstalten riefen einander zu: »›Stadtbild‹ hat er gesagt!« Aus Fenstern schrie es: »Stadtbild!« Und »Stadtbild« talkte es auf den Kanälen, Flieger schrieben es ins Himmelblau, Soldaten schossen es als Muster auf die Scheiben, Liebende schrien es in höchster Wonne, Neugeborene krähten, Sterbende hauchten es: »Stadtbild«.

Hat der Kanzler sonst noch was gesagt? Gewiss, das hat er – ein paar Tage früher. Er hat gesagt, dass der Krieg bald anfängt, weil es mit dem Frieden offensichtlich rapide zu Ende geht. Aber kaum einer hat’s gehört, weil: Merz hat rasch was erwartungsgemäß viel Erregenderes hinterhergeschoben: »Stadtbild«.

Mario Lars

Außerdem: Die Kriegserklärung hat er auch nicht gleich an die große Glocke gehängt, vielleicht aus Bescheidenheit, weil der Krieg ja nicht sein persönliches Verdienst ist. Er erklärte den Krieg erst einmal seinesgleichen – auf einer hochedlen Konferenz von Kapitalisten, dem »Schwarz Ecosystem Summit« (zur Schwarz-Gruppe gehören u.a. Kaufland und Lidl). Das ist nur zu verständlich! Wann ein eventueller Krieg eventuell beginnt, das müssen Kapitalisten als Erste erfahren, weil sie unter Umständen viel mehr zu verlieren haben als, sagen wir: eine Kaufland- oder Lidl-Kassiererin. In einem Krieg bist du als Kapitalist in einer Hochrisikogruppe!

Zudem ist es nicht ungewöhnlich, dass man als Staatenlenker den Krieg erst einmal seiner eigenen Klientel erklärt – eben z.B. bei einer inoffiziösen Zusammenkunft Gleichgesinnter, die dazu dient, »zentrale Zukunftsthemen« (Klima, Nachhaltigkeit, Frauen- und Männergesundheit) zu diskutieren.

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Nebenbei: Hitler hat das genauso gemacht und – das müssen Historiker konstatieren – schöne Anfangserfolge erzielt. Am 5. November 1937 legte er vor seiner Clique fest, dass die Wehrmacht in vier Jahren »kriegstüchtig« (das Wort hat er ungefragt bei Pistorius entlehnt) zu sein habe. Vier Jahre – das wäre bei uns 2029! Ist das nicht das Datum, auf das man seit langem unsere Vorfreude lenkt, wie, sagen wir: auf einen Meteoriteneinschlag, der nur alle hundert Jahre vorkommt, ein Ereignis, von dem man noch seinen Enkeln zu erzählen haben wird? Aber auch auf ein Geschehen, das – bei aller Buntheit – notwendigerweise Gefahren birgt. Denn wenn wir auch keine Kapitalisten sind – das Auto, das Sparkonto, die Hühner, die Kinder: Einiges ist doch in Sicherheit zu bringen …

Aber was hat der Kanzler nun eigentlich wirklich gesagt? Gesagt hat er nicht, wie ihn mancher falsch zitiert: »Wir sind noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.« Sondern ohne »noch«! Das »noch«, hätte er es gebraucht, würde erwartungsvolle Vorfreude ausdrücken. Wie man einen ungeduldigen Jugendlichen, der sich einen Netflix-Account wünscht, bescheidet: »Es ist doch noch nicht Weihnachten!«

Schwieriger aber wird von nun an in der ideologischen Arbeit, im täglichen vertrauensvollen Gespräch mit unseren Werktätigen der zweite Teil des Merz’schen Diktums zu erklären sein: »… aber auch nicht mehr im Frieden«.

Wie das zu geschehen hat? Konkret und anlassbezogen! Rief doch neulich eine euphorische Nachbarin über den Gartenzaun: »Was für ein wunderschöner friedlicher Herbstnachmittag!«

»Friedlich?«, fragte ich betont giftig zurück. »Du hast wohl den Schuss noch nicht gehört!«

MATTI FRIEDRICH

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