Dem Visionär ist nichts zu schwär

Armin Laschet steht in seinem Reihenhaus im Aachener Vorort Burtscheid und flucht. Er hat mit Duplosteinen die Berliner Innenstadt nachgebaut. »Das ganze Zeug muss weg!«, ruft er verärgert und tritt gegen ein kniehohes Gebäude, das offenkundig das Kanzleramt darstellen soll. Als Rheinländer habe er sich nie mit den Sichtachsen und geradlinigen Magistralen in Berlin anfreunden können. »Da muss mehr Verspieltheit rhein«, sagt der frischgebackene CDU-Bundesvorsitzende und baut etwas, das vage an einen Dom erinnert. Obendrauf platziert er kleine bunte Männchen als Kamellewerfer.

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Das werde das zentrale Haus von Rheinlandia, der neuen Hauptstadt, die das zusammengeschusterte Berlin eines Tages ersetzen soll. In der Ruhmeshalle soll man sich über rheinische Erfolge wie den Wiederaufstieg von Alemannia Aachen in der Saison 2005/2006 und die Heinsberg-Studie informieren können. Außerdem soll es eine Ferienwohnung für den Papst geben. »Das ist keine Gefälligkeit für einen alten Freund«, versichert Laschet, um sogleich den Vorwurf der Kungelei auszuräumen. »Es ist einfach die Pflicht eines jeden Katholiken, so steht’s in der Bibel.«


Der amtierende Ministerpräsident von NRW, dem Kritiker zuweilen vorwerfen, er könne langweiliger sein als sein Schatten und fröhlicher, als es ihm zustehe, will beweisen, dass er Deutschland verändern kann. Laschet möchte nicht mehr nur als seelenloser Machtpolitiker wahrgenommen werden, als einer, der darauf limitiert ist, über die Ausdauer zu verfügen, Dinge mit aller notwendigen Vitalität und Sachkenntnis auszusitzen. Deshalb visioniert Laschet neuerdings von Visionen, die ihm ein Profil und einen Wiedererkennungswert in der Bevölkerung herbeiwummsen sollen.

Der Umbau der Bundeshauptstadt scheint eine geeignete Möglichkeit zu sein, sein neues Talent zu illustrieren. Noch hat er nicht jeden vom Abriss des Regierungsviertels überzeugt. Aber wenn er bald vielleicht selbst im goldenen Kanzlerpalast mit dem Gummibärchenpool und dem Schimpansengehege auf dem Dach sitzt, dann weht hier ein ganz anderer Wind!

Es fällt schwer, ihm den Enthusiasmus zu glauben. Und Laschet scheint das zu ahnen. Um zu verdeutlichen, dass er sich wirklich für etwas begeistern könne, spricht der NRW-Ministerpräsident von seinen Bauplänen daher besonders laut und versucht sogar, seiner Stirn die ein oder andere Schweißperle zu entlocken. Die Spree möchte er mit Kölsch auffüllen lassen – die Havel mit Altbier. Geschmacklich würde das sowieso keiner merken. »Die Berliner Straßenbahn heißt dann einfach U-Bahn. So machen wir das in NRW auch.« Laschet lacht, wird dann still. Er scheint sich eine adäquate Handlung zu überlegen, die seine Entschlossenheit verdeutlicht. Einige Sekunden später verpasst er dem Reporter einen viel zu kräftig ausgeführten freundschaftlichen Knuff in die Seite. »War der zu laschet?«, fragt er besorgt. Empathie – auch das beherrscht der Mann.

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Er lässt seinen Gast auf dem Boden liegen und geht zum Fenster seines Reihenhauses. Sein Blick schweift über das Land und wird erst vom Reihenhaus auf der gegenüberliegenden Seite der Straße gebremst. Was er hier sieht, sei Deutschland, sagt er. Bestes Deutschland der Güteklasse A. Da müsse man eigentlich nicht viel herumdoktern. Klar, er habe auch schon oft darüber nachgedacht, ob ein Goldfischteich den Vorgarten nicht aufwerten würde. Und die Korkenzieher-Weide könnte auch mal wieder einen Schnitt gebrauchen. Aber muss man wirklich immer alles verändern?

»Ist das zu klein gedacht?« Laschet erschrickt. Ja, gibt er zu, manchmal beneide er Friedrich Merz und dessen visionäre Kraft. Aber dessen Utopie einer patriarchalen Gesellschaft ohne Steuern, gesetzliche Krankenversicherung und aufdringliche Homosexuelle würde man ihm, Laschet, eben nicht so leicht abnehmen. Da muss man schon der Typ für sein, ein Flugzeug besitzen und ein gewisses Standing in der Damenwelt haben. Als er selbst das letzte Mal seine Frau geschlagen habe, habe die das gar nicht richtig ernst genommen. Susanne habe zwar ihrer Mutter erzählt, dass sie den ekelhaftesten Jungen ihres Lebens kennengelernt habe, aber 17 Jahre später habe sie ihn doch geheiratet, weil sie nichts besseres fand. »Das hat die ehrlich zugegeben, im ›Kölner Treff‹ vom WDR. Sie können das gerne googeln, wenn Sie mir nicht glauben!«

Eigentlich sei es ein Wunder, dass er die Wahl zum Parteivorsitz gewonnen habe. Auch Norbert Röttgens Vision von einem Deutschland, das von einem Mann regiert wird, der eine Rosette am Kinn trägt und heimlich die Teller bei Empfängen ableckt, sei schließlich eine starke gewesen. Vielleicht habe er sich gegen beide Kandidaten durchgesetzt, weil er eben nichts anzubieten habe und die Leute diese Inhaltslosigkeit durch die Amtszeit Angela Merkels zu schätzen gelernt hätten. Merkels Leichtigkeit und Gleichgültigkeit fehle ihm allerdings noch, gesteht er. Merkel hätte sich im Auffanglager in Moria neben die Flüchtlinge gestellt und schöne Selfies gemacht. Laschet verschwand lieber nach einer halben Stunde, weil er sich nicht vorstellen konnte, was auf Insta hätte los sein können.

Das Telefon klingelt. Der Eventmanager Michael Mronz ist dran. Laschet spricht aufgeregt mit ihm. Gemeinsam wollen sie die Olympischen Spiele in die Rhein-Ruhr-Region holen. Das ist Laschets Herzensprojekt und ihm fast noch wichtiger als sein Traum von einer eigenen Modelinie, die ihm sein Sohn versprochen hat. Die Spiele brächten ungeahnte Chancen: Wie gut Unionspolitiker wie Georg Nüßlein und Nikolas Löbel neben den noch viel korrupteren Funktionären des IOC aussehen würden! Da könnte die Mitte der Gesellschaft wieder ein bisschen zu ihren konservativen Politikern zurückfinden. Und der Imagegewinn der Region durch solche Großereignisse sei ganz fantastisch. »Noch heute ist Duisburg wegen der Loveparade in aller Munde.«

Michael Mronz will wissen, wo die Segelwettbewerbe stattfinden könnten. Da fände man eine unbürokratische Lösung, versichert Laschet. »Man könnte zum Beispiel Holland abbaggern.« Das sei zwar nicht sehr einfallsreich, sozusagen nicht supervisionär, aber man müsse ja nicht immer gleich das Rad neu erfinden. Laschet hält inne. Ein Geistesblitz. Er lässt den Telefonhörer fallen und rennt zu seinem Rheinlandia-Bausatz. Er weiß endlich, wie darin der Amtssitz des Kanzlers aussehen soll. Es wird ein pompöses Reihenendhaus.

ANDREAS KORISTKA