Draußenschläfer – ihr seid nicht allein!

von FELICE VON SENKBEIL

Es ist bitter kalt. Rund um den Ostbahnhof kristallisieren die Hundehaufen zu zauberhaften, überzuckerten Skulpturen. Die Berliner Weltbürgerin achtet der Kälte nicht – die Wege zur Montessori-Schule, zum Pilates und zur Klavierstunde des Jüngsten werden im städtischen Tunnelsystem zurückgelegt, in leger geöffneter Thermojacke. Aber die Nächte, sagen Leute, die nächtens auf die Straße müssen, sind schweinisch kalt.

Mark Ormerod


Es leben schätzungsweise 8700 Menschen unterm feinen Himmel von Berlin. Niemand weiß exakt, wie viele es sind. Der Staat hat sie noch nie gezählt, sein Erkenntnisinteresse war bisher nicht erwacht. Schon gar nicht weiß man, ob einige von ihnen Steuerschulden haben, eigentlich ein Bett in Tegel auf sie wartet, welche Instrumente sie spielen, wie viele von ihnen Abi haben, und wer zur Darmkrebsvorsorge geht. Der Staat weiß buchstäblich nichts über sie!

Der Berliner allerdings kennt seine Pappenheimer ganz genau. Man pflegt einen unverkrampften Umgang miteinander – bei der Morgentoilette im Passfotoautomaten, beim Ziehen an der Frühstücks-Crackpfeife direkt neben dem Kaffeestand und beim Erwachen in der Pisslache im Berufsverkehr. Bänke im Straßengrün, Papierkörbe, Vordächer, Toreinfahrten haben die Berliner längst ihren nichtgefiederten Freunden überlassen, schmeißen ihnen Krumen zu, darunter auch Werthaltiges wie Schoko-Croissants. Aus Dankbarkeit spucken sie einem dann ihren eitrigen Auswurf nicht direkt auf den Mantel.

Weiter geht es im EULENSPIEGEL 01/2020

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