Ein Lümmel zum Verlieben

UNSERE BESTEN

»Schauen Sie, ich bin eigentlich eher pro Europa: Ich möchte eine EU, in der man losziehen und Croissants verschlingen kann, vorzüglichen Kaffee trinken, Fremdsprachen lernen und wo man Sex mit auslän- dischen Frauen haben kann.« Boris Johnson 1997

Frank Hoppmann

Was für ein Mann! Boris Johnson ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten auf diesem Kontinent, eine großartige, schönste Früchte tragende Laune der Natur, eine Mischung aus Franz Josef Strauß und Dieter Bohlen. Bo-Jo, wie er liebevoll und liebestoll von englischen Witwen genannt wird, vereint in sich alles, was eine Lichtgestalt strahlen lässt. Er ist von stattlicher Statur – manchmal buckelt er sich kleiner, aber das ist gespielte Unterwürfigkeit, um den Gegner zu täuschen. Sein Lächeln ist einnehmend, und ein immerwährendes Lob auf seine Dentisten: zwei vollständige Reihen makelloser Zähne, gelb wie Butterschmalz. Manchmal gähnt der Löwe demonstrativ, aus Langeweile zwar, aber auch um zu zeigen, welcher seiner Gegner bereits in den Zahnzwischenräumen klebt. Sein Haar, immer den Gezeiten und den Stürmen zu bestehender Kämpfe ausgesetzt, gleicht dem Strahlenkranz der Sonne. Und dann sein Stammbaum: die Ahnentafel des edelsten britischen Bürgertums. Er ist genetisch derart vernetzt, dass die Londoner Ladys immer einen Abstrich seiner Mundschleimhaut mit der eigenen vergleichen lassen, bevor sie sich auf seinen Schreibtisch legen, sie könnten ja eine Nichte von ihm sein.

Alexander Boris de Pfeffel Johnson ist mit halb Europa verwandt, dem mächtigen, of course. Sein Urgroßvater, Ali Kemal, war 1919 Innenminister des Osmanischen Reiches und wurde geköpft – was sich einem Orakel zufolge in der jeweils dritten Generation wiederholen soll … Johnsons Großvater Osman Ali floh nach London und nannte sich fortan Wilfred Johnson. Er war ein Beispiel für gelungene Integration und vollbrachte ein Wunder, das damals durch alle Zeitungen ging: Weil er sich ausschließlich von Austern ernährte, kamen sämtliche seiner Nachkommen semmelblond zur Welt. Bo-Jo ist also »inwendig« ein bisschen Türke, ein Umstand, der ihm die Freiheit beschert, auch immer mal einen Witz auf Kosten von Ziegenfickern zu reißen.



Aber im Grunde darf er Witze über jeden und alles machen, er hat bei seinen Landsleuten vollständige Witze-Prokura. Frauen, Schwule, Kinder, Behinderte, Jean-Claude Juncker, Emmanuel Macron – je schwächer seine Gegner, desto schärfer sein Humor. Er ist wie ein Avantgarde-Künstler, der die Welt in Atem hält und zugleich aus den Fugen hebt, mit jedem einzelnen Wort, besonders den dreckigen. Frauen schickt er vulgär sprechende Kugelschreiber mit Foto von ihm, bekleidet nur mit einem Tanga. Er kann ja nicht jede persönlich erreichen, um sie für seine politischen Pläne zu begeistern.

Er selbst sieht sich als König der Welt – sich König von England zu nennen, widerstrebt seiner Demut und Bescheidenheit.

Apropos Königin: Johnson, so versicherte er, habe ein Funkeln, ja Glühen in den Augen der Queen – er nennt sie Elli – gesehen, als sie ihn ins Präsidentenamt hob. Dieses Glühen – es ist ihm ganz und gar nicht unbekannt! Ihre Betagtheit und der Umstand, dass sie verheiratet ist, habe ihn jedoch daran gehindert, seinen Lümmel rauszuholen.

Über eine deutsche Ur-ur-ur-Großmutter, eine von Rottenburg, ist Johnson angeblich auch mit zahlreichen Gestalten aus dem europäischen Hochadel verwandt: Großneffe 6. Grades von Königin Elisabeth II., Neffe 5. Grades von König Harald V. von Norwegen, Cousin 5. Grades von König Philippe von Belgien und Cousin 5. Grades von Beatrix von Storch. Cousinchen Bixi und Bo-Jo verbindet nicht nur das edle Blut, sondern auch der Größenwahn, und sie stehen auf die gleichen Mädels.


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Wie wird aus einem kleinen, nackten Knaben, der aus dem Steckkissen kräht, ein Narziss so außerordentlicher Vollkommenheit, wie es, seit Theodor zu Guttenberg verschwunden ist, außer Trump keinen zweiten auf dieser Welt gibt? Das fragt sich die Menschheit stets aufs Neue. Boris war als eines von vier Kindern, also vom ersten Atemzug an, auf Konkurrenz programmiert. Die Familie saß oft stumm zusammen und litt darunter, dass die Nähe zum Adel nie über den 5. Grad hinausging. Dann noch Immigranten, als New Yorker in London. Der amerikanische Dialekt und das Unvermögen, Besteck zu benutzen, warf sie immer wieder in der öffentlichen Anerkennung zurück.

Boris soll ein Ebenbild seines Vaters sein, seine Mutter trieb das in die Psychiatrie, wo er sie tagelang studierte. So lernte Bo-Jo alles, was er brauchte, um in Eton aufzufallen. Dort war er der Lustigste, Heißeste und Tückischste von allen. Die Lausbubengeschichten aus jenen verrückten Jahren füllen heute die bunten Londoner Blätter. Beispielsweise soll Boris nach jeder Stuhltanzparty im Studentenclub – die Stühle waren durch immigrierte Inder ersetzt, um das Parkett nicht zu zerkratzen – einem Girl den Verlobungsring angesteckt haben. Entzückt von der Dreistigkeit des jungen Mannes machte sich die weibliche künftige akademische Elite natürlich sofort nackig. Die Wirrnis eines jeweils legendär kurzen Liebesaktes nutzte Johnson, um der jeweiligen Dame den Ring zu entwenden, ihn in seiner Analfalte verschwinden zu lassen, um eine Woche später der Nächsten die Verlobung anzutragen. Was für ein Hallodri!

Dennoch: Seine Obsession sind nicht die Weiber, sondern Brücken! Nachdem es dem intriganten Wuschelkopf gelungen war, Bürgermeister von London zu werden, befahl er, Brücken zu bauen. Von wo nach wo war eigentlich egal. Mal nach Nordirland, dann nach Europa oder zu einer Insel, die erst noch hätte aufgeschüttet werden müssen. Brücken – was für ein Symbol, wenn man etwas Phantasie hat! Und die hat er. Als Korrespondent des »Daily Telegraph« erfand er wundersame Geschichten, die Europa zerrütten sollten: Das europäisch genormte Einheitskondom (italienische Größe) mache den Briten Angst, und Johnsons Ankündigung, Brüssel werde den Insulanern Fish and Chips verbieten, machte sie wütend. – Manche nennen das Populismus. Das aber ist unfair. Denn Johnson hat Probleme, sich systematisches Wissen anzueignen, und erst recht, es zu behalten. Seine Lernschwäche zwingt ihn, virtuos zu improvisieren. Selbst kurze Texte kann er sich nicht merken, falls er sie überhaupt lesen und sinnwahrend erfassen kann. Zahlen sind ganz schwer! »350 Millionen Pfund gehen pro Woche nach Brüssel!« stand auf seinem Brexit-Kampagnenbus – leider gibt es immer Korinthenkacker, die so was nachrechnen.

Mit Prophezeiungen hat er es da leichter: »Wenn du für die Tories stimmst, bekommt deine Frau größere Brüste, und du steigerst deine Chance, einmal einen BMW M3 zu besitzen.« Das ist schon deshalb nicht gelogen, weil er es selber glaubt. Für den Rest stellt er sich einen Freifahrtschein aus: »Wenn wir jeden nach den dummen, unüberlegten Dingen beurteilen, die aus ihm einfach so herausplatzen, kommen wir gar nicht voran.«

FELICE VON SENKBEIL