Den Präsident

»EU-Parlament erkennt Guaidó als Interimspräsidenten an«, meldete Spiegel online Ende Januar 2019, während Bild.de zur gleichen Zeit eine leicht davon abweichende Information verbreitete: »EU-Parlament erkennt Guaidó als Interimspräsident an!« Bild-Redakteure werden natürlich nicht dafür bezahlt, dass sie die Grammatik beherrschen, sondern für ihre Fähigkeit, Blut zu wittern, aber der Schaden, den sie mit ihren Schnitzern anrichten, ist beträchtlich. Das Volk plappert gern nach, was primitive Journalisten ihm vorplappern, und wenn es das lange genug getan hat, stimmt mit schöner Regelmäßigkeit auch die Duden-Redaktion in das Geplapper ein.

Vorläufig heißt es offiziell noch »den Präsidenten«, »den Automaten« und »den Erdtrabanten« und nicht »den Präsident«, »den Automat« und »den Erdtrabant«. »Das stimmt auch fast«, hat Nicola Frank von der Gesellschaft für deutsche Sprache jüngst in einer Glosse festgestellt, »wenn nicht die Endung -en bei diesen Wörtern – wie auch bei jemand und niemand – schon seit einiger Zeit die Tendenz hätte, wegzufallen. Das kann man durchaus auch in seriösen Zeitungen beobachten. Selbst der Duden bezeichnet das Weglassen der Endung als ›eine starke Neigung‹, die man ›nicht einfach als inkorrekt‹ bezeichnen könne.«

Wieso nicht? Wer, wenn nicht der Duden, hat denn die Aufgabe, die korrekten Formen zu benennen? In einer sprachlichen Basisdemokratie werden über kurz oder lang alle so kläglich radebrechen wie Bild-Reporter, RTL-II-Moderatoren und jene Blogger, die glauben, man könne »den Planet besiedeln«, »den Patient beraten«, »einen Kandidat aufstellen«, »den Paragraph ändern« oder »den Konfirmand beschenken«.

Gewiss, die Sprache ist im Fluss, das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen … aber vielleicht wäre es ja doch ganz vernünftig, einen radikalen Vorschlag aufzugreifen, den Karl Kraus 1909 publiziert hat, um der Sprachverhunzung einen Riegel aus rostfreiem Edelstahl vorzuschieben: »Die Sprache ist das Material des literarischen Künstlers; aber sie gehört ihm nicht allein, während die Farbe doch ausschließlich dem Maler gehört. Darum müsste den Menschen das Sprechen verboten werden. Die Zeichensprache reicht für die Gedanken, die sie einander mitzuteilen haben, ganz und gar aus. Ist es erlaubt, uns ununterbrochen mit Ölfarben die Kleider zu beschmieren?«