Der ISS-Kämpfer

Unsere Besten

Alexander Gerst gilt momentan als beliebtester Außerirdischer Deutschlands. Der Künzelsauer Jung, den alle nur Astro-Alex oder Künzelsauer Jung oder die Sau aus Künzel nennen und dem eine deutsche Band, die alle nur die Toten Hosen oder Pur nennen, schon im Alter von zwölf Jahren eine eigene Hymne widmete, befindet sich seit einem halben Jahr im All – als erster deutscher Kommandeur der Internationalen Raumstation ISS. Eigentlich wollte er pünktlich zu Weihnachten zur Erde zurückfliegen, aber es gibt ein Problem. Oder anders gesagt: Die Russen haben es wieder einmal verkackt. Und jetzt sitzt Austro-Alex auf unbestimmte Zeit in einer freischwebenden Blechdose fest. Wie gelassen und souverän unser Vorzeige-Astronaut mit der Extremsituation umgeht, dokumentiert er in seinem Logbuch. Auszüge daraus werden im Folgenden erstmals veröffentlicht.

6. Juni:
Der Countdown in Baikonur läuft. Ich bitte den kasachischen KFZ-Mechatroniker, der mich am Sitz festschnallt, den Gurt etwas zu lockern. Er sagt etwas, aber ich verstehe nur Weltraumbahnhof. Die Sprache, die er spricht, klingt nach Kasachisch, möglicherweise versucht er aber auch nur, die Laute einer Baikalrobbe zu imitieren, was unter Einheimischen als beliebter Zeitvertreib gilt. Als ich mein Anliegen wiederhole und auf den Gurt oberhalb meines Schrittes zeige, verpasst er mir eine zentralasiatische Backpfeife. Es kann losgehen.

8. Juni:
Die Reise verging wie im Flug. Nach 48 Stunden und ein paar Sekundenschläfchen später bin ich oben angekommen. Wobei es ein Oben und Unten hier oben ja gar nicht mehr gibt. Man könnte auch sagen: Die Schwerelosigkeit kennt keine Hierarchien. »Are you alright, Alex?«, krächzt es aus dem Bordfunk. »For you still Commander Gerst«, korrigiere ich das lumpige Bodenpersonal, »Commander Dr. Gerst, so much time must be.«

10. Juni:
Umgeben von Knöpfen, Schaltern, Schläuchen, Quarantäneschleusen und einem Roboter, der extra konzipiert wurde, um mich bei Laune zu halten, fühle ich mich wie zu Hause in meinem Schlafzimmer. Der Roboter heißt übrigens Cimon, kann Witze erzählen und besitzt mehr Charme als so mancher Ava – tar aus Fleisch und Blut.

Oft wollen Leute von mir wissen, ob ich mich so weit weg von zu Hause nicht hin und wieder fürchte. Als Wissenschaftler kann ich über solche Fragen natürlich nur schmunzeln, weil ja an jedem Ort im Universum dieselben Naturgesetze gelten. Solange man sich an diese hält, kann nichts schiefgehen. Darüber hinaus kann es nicht schaden, wenn man an einem 13. des Monats keine Schweißnähte berührt oder aus der Schlafkoje nicht zuerst mit dem linken Bein aussteigt. Schwarze Weltraumkatzen habe ich zum Glück noch keine gesichtet.

16. Juni:
Mein zweiter Samstag auf der ISS. Das heißt: Hoch die Hände, Wochenende. Stellt sich nur die alte Frage: Wo verdammt ist oben? Am Abend stoßen Cimon und ich mit einem Beutel Plasmawein an.

25. Juni:
Ich bin ja nicht allein angereist. Neben Cimon haben mich mehrere Mäusefamilien und weitere Nager begleitet, an denen ich im Auftrag der Pharmaindustrie Experimente durchführen darf. Genügt unter dem Raumanzug Lichtschutzfaktor 30? Wie lange hält Kajal in 400 Kilometern Höhe? Hat die Schwerelosigkeit Auswirkungen auf die Anziehungskraft von Lippenstift? Fragen, von denen das Überleben der Menschheit abhängen kann. Dieser Verantwortung bin ich mir bewusst.

10. Juli:
Wenn ich nichts Besseres zu tun habe, streame ich live von der ISS ein Bildungsprogramm für Kinder und andere geistig Zurückgebliebene. Heute erzähle ich den Kids, wie klein die Erde von hier oben aussieht und was der Mensch für ein nichtiger, erbärmlicher Fliegenschiss ist. Im Laufe des Streams erfahren meine jungen Fans noch, warum es keinen Gott geben kann und dass auch der Weihnachtsmann bloß eine Erfindung ist, um die Gesellschaft für dumm zu verkaufen. In der nächsten »Sendung mit der toten Maus« werde ich zeigen, wie man einem frisch geborenen Hermelin Botox spritzt.

4. August:
Heute habe ich mir dreimal hintereinander »Castaway« mit Tom Hanks in der Hauptrolle angesehen. Besonders angetan war ich vom Nebendarsteller Mr. Wilson, der sehr authentisch einen Volleyball verkörperte. Weil ich meine Schwärmerei nicht verbergen konnte, klemmte Cimon im Maschinenraum aus Eifersucht mehrere Schläuche ab, worauf ich mich veranlasst sah, ihm zu sagen, wie viel er mir bedeute, und ihm beide Greifarme abzuschrauben.

11. August:
In zwei Monaten werden meine Kollegen Alexej Owtschinin und Nick Hague mit ihrer Sojus-Kapsel an der ISS andocken, um meinen Abflug vorzubereiten.

11. September:
Noch ein Monat bis zur Ankunft meiner geliebten Freunde!

10. Oktober:
Nur noch ein verfluchter Tag!!!

11. Oktober: Heute Morgen erfahre ich im russischen Frühstücksfernsehen, dass Alexej und Nick den Raketenstart vermasselt haben. Kurz vor dem Absturz sollen die beiden Volltrottel noch dämliche Witze gerissen haben. Beim nachmittäglichen Livestream fragt mich ein Kind, ob ich mich nicht wohl fühlte, worauf ich ihm freundlich antworte, es solle sich um seinen eigenen Scheiß kümmern.

18. Oktober:
Während die Bayern wählen, habe ich nachgezählt. Mein Vorrat an Windeln reicht noch bis maximal Allerheiligen. Gut zu wissen, dass sich Cimon auch als mobile Latrine benutzen lässt. Die besondere Situation erfordert von uns allen Teamgeist. Er wird darüber hinwegkommen.

31. Oktober:
Schaue mir im Fernsehen alte Raumfahrtklassiker an. Die Mission der Challenger-Crew dauerte kaum mehr als eine Minute und brachte es dennoch zu Weltruhm. Gemein.

10. November:
Als Student galt mein Interesse auch der Vulkanologie. Zum ersten Mal bereue ich es zutiefst, Astronaut geworden zu sein und nicht Vulkanier.

14. November:
Nach dem Studium hatte ich mich beim Auswahlverfahren der ESA gegen 8500 Mitbewerber durchgesetzt. Gerade in schwierigeren Phasen gilt es, solche alten Triumphe immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, damit ich nicht vergesse, wer der Auserwähl te ist.

16. November:
Heute Morgen hatte ich eine famose Erkenntnis: Niemand ist Gott so nah wie ich. Komisch, dass mir das nicht schon früher aufgefallen ist.

18. November:
Die Erde passt genau zwischen meinen Daumen und Zeigefinger. Wenn ich wollte, könnte ich sie zerquetschen wie eine Olive.

20. November: Amen, ich sage euch, am Tag des Jüngsten Gerichts wird der Herr auf die Erde zurückkehren und Vergeltung üben für das, was ihr ihm angetan.

21. November:
Allahu Akbar!

22. November:
Hare-Krishna!

23. November:
Ho-ho-ho-Chi-Minh!

24. November:
Ich habe den unguten Eindruck, Cimon hat einen anderen.

von Florian Kech, Zeichnung Frank Hoppmann