Lebt eigentlich Kurt Biedenkopf noch?

Selbst wenn er verstorben wäre – in seinem Satz »die Sachsen sind gegen Rechtsextremismus immun« lebte er fort und fort! Da er aber nicht verstorben ist, hätte man sich schon gewünscht, er hätte im Lichte jüngster Ereignisse den von ihm für »die Sachsen« erteilten kollektiven Persilschein (wie man 1945 im deutschen Volksmund ein Attest der Amerikaner genannt hat, dass man kein ausgemachter Nazi gewesen war) zurückgezogen. Hat er aber nicht. Ein Biedenkopf korrigiert sich ungern.

Vielleicht nimmt er im 4. Band seiner Tagebücher Gelegenheit dazu. Das wäre allerdings eine Sensation. Denn kein Mensch unter der Sonne hat jemals ein Wort der Selbstkritik, nicht einmal der abwägenden Selbstreflexion, aus des »Königs Kurt« Munde vernommen. Unter seiner und seiner Gattin Ingrid Regentschaft hat sich Sachsen nämlich von der spätkommunistischen Vorhölle zum christdemokratischen Paradies gewandelt. Aus der DDR hat er außer einigen schönen Techniken des Personenkults praktisch nichts übernommen. Die Sachsen aber schon, sozusagen hinter dem Rücken des Herrscherpaars: den Neofaschismus, der nach Meinung der sächsischen CDU in der DDR geherrscht hat, und die Mutter allen Übels darstellt.

Leider gingen Biedenkopfs Tagebücher nicht so gut wie warme Semmeln über den Ladentisch. Sie wurden in den Buchläden nicht einmal geklaut, obwohl der Steuerzahler alles Recht dazu hätte, hat er sie doch mit 300 000 Euro Zuschuss zu den Druckkosten quasi schon erworben.

Offenbar will sich das Ehepaar Biedenkopf nun vor Ort um den Absatz kümmern. Im Fernsehen sah man neulich, wie es in seinem Haus am Chiemsee die Kisten packte. Es geht zurück nach Dresden, »die Sachsen brauchen mich jetzt«, hörte man Biedenkopf murmeln. Ja, es wird Zeit, dass sie jemand gegen hässliche Vorwürfe in Schutz nimmt, das kann der EULENSPIEGEL nicht alleine leisten.

Vielleicht hat Biedenkopf aber sogar größeres im Sinn. Gegenüber Die Zeit interpretierte er seinen Satz von sächsischer Immunität gegen Rechtsradikalismus so: »Was ich meinte, ist: So lange die Leute ordentlich regiert werden, so lange gibt es keinen Rechtsradikalismus.«

Mathias Wedel